Raumlehre.
94
Raumlehre.
teten Linien oder andern Raumgrössen
definirt. Der Zusammenhang zwischen
allen Punkten, welche eine Linie oder
Fläche bilden, ist dann durch eine Glei
chung gegeben, und Aufgabe der analy
tischen Geometrie ist es dann, aus dieser
Gleichung alle Eigenschaften des betref
fenden Raumgebildes abzuleiten. — Beide
Methoden bieten sich oft einander er
gänzend und erläuternd die Hand. Selbst
verständlich ist eine analytische Geometrie
ohne die Anfangsgrüude der synthetischen
undenkbar. Im Uebrigen ist die erstere
der letzteren an Fülle der Resultate, an
Allgemeinheit derselben und an Einfach
heit der Methoden unverhältnissmässig
überlegen.
Dagegen führt die synthetische Geo
metrie, was einzelne Probleme anbetrifft,
oft auf kürzerem Wege zum Ziel und
zu einfacheren Resultaten. Der Grund
ist der, dass hei der analytischen Geo
metrie der Ausgangspunkt ein gegebener
ist, während in der synthetischen der
selbe beliebig genommen werden kann.
Ersteres erleichtert allerdings das An
greifen einer Aufgabe, und macht die
Verallgemeinerung derselben leicht mög
lich, während die Einfachheit des Resul
tats in irgend einem einzelnen Falle
durch passende Ausgangspunkte, wie sie
die synthetische Geometrie frei stellt, ge
fördert werden kann. — Viele neuere,
sogenannte analytische Methoden sind in
Wahrheit als gemischte zu bezeichnen,
und in der That gelingt es auf diesem
Wege, sich bis zu einem gewissen Grade
der Vortheiie beider Hauptmethoden zu
bemächtigen. —
Die zunächst folgenden Abschnitte
dieses Artikels sind bestimmt, die An
fangsgründe der Raumlehre auf möglichst
kurzem Wege abzuleiten. Wir beginnen
mit der ebenen Geometrie, um daran die
Geometrie im Raume zu knüpfen.
Was die Definitionen anbetrifft, so be
ziehen wir uns dabei auf das im Artikel:
Raumgrösse Gesagte.
2) Von graden Linien und Win
keln in der Ebene.
I. Bezeichnungen. Ein Punkt
wird durch einen Buchstaben bezeichnet,
A, B (Fig. 79). Eine grade Linie durch
zwei, die sich an ihren Endpunkten der
selben befinden, wenn die Linie begrenzt
ist, {AB) oder an zwei beliebigen Punk
ten derselben {CD), wenn sie unbegrenzt
gedacht ist. — Die Bezeichnung eines
Winkels ist eine doppelte. Er wird durch
drei Buchstaben bezeichnet {ABC, CBA)
wovon sich zwei auf den Schenkeln, der
Fig. 79.
A ■ B
a ; b
C 1)
dritte am Scheitelpunkte befindet, wel
chen man heim Schreiben immer in die
Mitte setzt, oder durch einen Buchsta
ben D, der innerhalb des Winkelraums
gesetzt wird. Ist kein Missverständnis
zu befürchten, so kann man auch den
am Scheitelpunkt befindlichen Buchstaben
B zur Bezeichnung verwenden.
II. Definition und Satz. Wenn
man beide Schenkel eines Winkels P
(Fig. 80) verlängert, so schliessen die
Fig. 80.
Verlängerungen einen zweiten Winkel Q
ein; derselbe wird Scheitelwinkel von P
genannt. Also:
Definition. „Scheitelwinkel sind
solche Winkel, wo die Schenkel des einen
die Verlängerungen der Schenkel des
andern sind.“
P und Q haben offenbar den gemein
schaftlichen Nebenwinkel R. Sie werden
also von demselben Winkel zu einem ge-;
streckten ergänzt, und sind folglich gleich.
Dies gibt also den Satz :
Lehrsatz 1. „Jede zwei zusammen
gehörige Scheitelwinkel sind gleich.“
III. Scholion und Definitionen.
Man sagt von zwei Linien, dass sie sich
schneiden, wenn sie einen Punkt gemein
haben. Zwei Linien, die sich schneiden,
schliessen, wenn man sie ins Unendliche
nach beiden Seiten hin verlängert, dem
nach immer vier Winkel ein {P, Q, R, S),
von denen immer zwei P und Q einer
seits und R und S andrerseits Scheitel
winkel, also gleich sind, von denen ferner
immer zwei P, /¿und Q, S oder P, S und Q,R
Nebenwinkel sind, also zusammen je einen
gestreckten Winkel betragen, und die