Raumgrösse.
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Raumgrösse.
wieder ein Körper entsteht, ist ebenfalls
als Postulat zu nehmen, und möchten
wohl alle Versuche, diese höchst wich
tige Eigenschaft des Baumes aus dem
Begriffe der Ausdehnung ahzuleiten, voll
ständig scheitern. — Aus diesen Be
trachtungen folgt auch leicht, dass ein
Körper von Flächen, eine Fläche von
Linien, eine Linie von Punkten begrenzt
sei, wogegen der umgekehrte' Weg, der
in den Anfangsgründen der Geometrie
oft eingeschlagen wird, und wonach man
Flächen als die Grenzen von Körpern.
Linien als die Grenzen von Flächen,
Punkte als die Grenzen von Linien de-
finirt, zu weniger genauen Vorstellungen
gelangen lässt, namentlich was die Aus
dehnungen des Baumes anbetrifft, und
möchte unter beiden Wegen der hier
eingeschlagene den Vorzug verdienen.
Der Begriff der Congruenz, der oben
entwickelt wurde, führt leicht auch zu
dem Begriffe der Baumgleichheit. Wir
nennen zwei Gebilde (Linien, Flächen, Kör
per) nämlich raumgleich, wenn deren jedes
aus Aneianderreihung von Stücken ent
standen gedacht werden kann, welche
entsprechend den Stücken des andern
Gebildes congruent und an Anzahl gleich
sind, ohne dass hierbei die Anordnnng
dieselbe zu sein braucht. Auch können
diese Stücke gegen das ganze Gebilde
unendlich klein gedacht werden (wie
z. B. ein Kreis und eine Ellipse raum
gleich sein können, beide aber nur dann
als aus entsprechend congruenten Drei
ecken zusammengesetzt gedacht sein kön
nen, wenn man die in der Peripherie
liegenden Grundlinien dieser Dreiecke
sich unendlich klein denkt). Mit diesen
Begriffen und Definitionen kann man
'sich in der Geometrie begnügen, um
darauf die Kenntniss und die Eigen
schaften der Kaumgrössen zu bauen.
Raumgrösse.
Linien, Flächen und Körper, mit deren
Entstehung wir uns im vorigen Artikel
beschäftigt haben, sind fähig vermehrt
oder vermindert zu werden. Sie sind
also Grössen und können also als Baum-
grossen bezeichnet werden. Ausser diesen
sind auch die Winkel Kaumgrössen.
Diese vier Arten von Grössen kommen
allein in der Geometrie vor.
Es soll hier dasjenige von ihren Eigen
schaften entwickelt werden, was zum Be
ginn des Studiums der Geometrie noth-
wendig ist. — Sprechen wir zuerst von
den Linien. — Die Linien entstanden
nicht allein aus der Bewegung eines
Punktes, sondern die vorauszusetzenden
Eigenschaften des Baumes brachten es
auch mit sich, dass die Linien selbst
beweglich seien. Bei jeder solchen Bewe
gung geht eine Linie in eine andere
über. Wir können aber bei diesen Ueber-
gängen zwei verschiedene Arten unter
scheiden. Entweder die neu entstandene
Lin/e geht aus der alten durch eine Be
wegung hervor, in welcher alle Punkte
dieselbe Beziehung zu einander behalten
wie bei der letztem, also sich nur der
absolute Kaum, den sie einnimmt ändert;
man sagt dann, dass beide Linien sich
nur in der Lage unterscheiden, und dass
sie sich decken. Oder diese Beziehung
ist nicht in allen Punkten dieselbe; man
sagt dann, dass die Linien bei der Be
wegung eine Formänderung erlitten habe,
und beide Linien unterscheiden sich nicht
allein durch die Lage, sondern auch
durch die Form von einander.
Betrachten wir, von diesem Prinzipe
ausgehend, jetzt zwei gegebene Linien
A und B. Diese Linien können entwe
der so beschaffen sein, dass die eine A
durch Aenderung der Form und Lage
in die andere B übergeht; man sagt
dann: „beide Linien sind gleich,“ — oder
ihre Beschaffenheit ist derart, dass dies
nicht der Fall ist, und es ist dann selbst
verständlich, dass jedenfalls die eine, die
A sein möge, durch Aenderung der Form
und der Lage in einen Theil von B
übergeht, und man sagt dann: „die
Linie A ist kleiner als B, B grösser als
A. u — Leicht ersichtlich ist es hiernach,
was es heisse B sei 2, 3mal so gross
als A, wenn man überlegt, dass auch
durch Aenderung der Form und Lage A
in den noch übrig bleibenden Theil der
Linie B übergehen kann, in welchem
Falle B 2 mal so gross ist als A u. s. w.
Es kann also jede Linie als Maass einer
andern betrachtet, und somit jede Linie
gemessen werden. Unter den Linien
sind namentlich die graden Linien her
vorzuheben. Für grade Linien hat man
verschiedene Definitionen. Die beiden
gebräuchlichsten sind: — 1) die grade
Linie ist eine solche, welche in allen
ihren Theilen dieselbe Bichtung hat, —
2) die grade Linie ist die kürzeste zwi
schen 2 Punkten. Gegen die erste .De
finition möchte einzuwenden sein, dass
eben der Begriff der Bichtung erst durch
den der graden Linie in uns entsteht,
d. h. dass wir eben 2 Linien gleich ge
richtet nennen, wenn sie in einer graden
liegen. (Man müsste dann den parallelen
Linien, wie allerdings oft geschieht, auch,
gleiche Bichtung zuschreiben, was jeden
falls, wenn man die Sache genau über-