rock dieses Gefühl gewissermaßen auf eine Bühne. Die Gotik war
heroisch gewesen, der Barock stellte das Heroische szenarisch dar.
In Italien und Frankreich kann der Geist des Barocks vom
Deutschen nicht ganz begriffen werden. Dort gibt er sich mehr
oder weniger kühl klassizistisch und akademisch. In Deutschland
erst, in den Händen geborener Romantiker, hat er das Überschwäng-
liche seines Wesens und die Unendlichkeit seiner Melodik offenbart.
Die einzelnen deutschen Formen sind nicht sehr edel, sie sind zu
flüchtig, um es sein zu können; das Ganze aber klingt wie eine Me-
lodie der Zeit. Die gewölbten Kirchenräume mit ihren Aushöhlun-
gen, in denen Altäre stehen, mit ihren schattigen Emporen, ihren
Stichkappen und Zwickeln, mit ihren gewundenen, geschmückten
Säulen und Pilasterordnungen, mitihren Altarapotheosen und Licht-
effekten, mit ihren geschweiften Baldachinen, ihrem reich geschnitz-
ten Chorgestühl, dem zierlich geschmiedeten Gitterwerk am Hoch-
altar, mit ihren Wand und Decke dicht überspinnenden Deko-
rationen, worin Malerei und Plastik illusionistisch ineinander über-
gehen und worin Gestalten von Heiligen und Unheiligen sich
recken, lüstern die Glieder verschlingen, himmeln und kokettieren,
hysterisch jauchzen und in kostbar wallenden Gewändern dahin-
schweben, ein himmlisches Höflingsvolk der Architektur: alles zu-
sammen schafft die große Zauberoper, die Barock heißt. Dieser
Geist des genial Theatralischen ist auch in den eigenwillig vor- und
zurückspringenden Fassaden, in den Balustradenführungen und ge-
schweiften Bekrönungen der Fenster und Portale, in den stockwerk-
haft mit Säulen, Pilastern und Gesimsen sich aufbauenden, zierlich
sich verjüngenden, oben offenen, von Kuppeln und Helmen elegant
abgeschlossenen Türmen; er ist in den prahlend sich zur Schau stel-
lenden Schloßfassaden, in den überreich mit Malerei, Plastik und
Schmiedewerk ausgestatteten, von herrlich sich schwingenden Stie-
gen erfüllten Treppenhäusern, in den Spiegelsälen, Bildergalerien
und anderen Schauräumen, er ist in den Ehrenhöfen, Freitreppen,
Flügelbauten, Pavillons und auch in den Gärten, wo sich selbst die
Natur dem schmückenden Stilwillen einer szenarisch denkenden
Phantasie beugen muß. Alles gehorcht dem Gesetz dramatischer
149