IV.
Der Aufbau der Geometrie 1 ).
(November 1917.)
1. Als Teil der Mathematik soll die Geometrie sich rein deduktiv
vor uns aufbauen. Was sich aus der Forderung reiner Deduktion
für das Wesen des Beweises und der Definition ergibt, darüber
wird von den Mathematikern nur selten ausdrücklich gesprochen.
Da ich bei der Abfassung der „Vorlesungen über neuere Geometrie“
vom Streben nach lückenloser Beweisführung geleitet war, so bot
sich mir Anlaß, Betrachtungen über das Wesen von Beweis und
Definition einzuflechten, mehr noch, als ich für die zweite Aus
gabe Zusätze verfaßte; siehe das Sachverzeichnis zur zweiten Aus
gabe unter „Beweisverfahren“ und „Definieren“. In den „Grund
lagen der Analysis“, Anhang zu § 2, habe ich den Gegenstand
ebenfalls erörtert und das dort Gesagte in „Veränderliche und
Funktion“ weiter verfolgt; siehe das Sachverzeichnis unter „Be
weis“, „Deduktion“, „Definition“. Auf denselben Gegenstand bin
ich endlich in den vorstehenden Aufsätzen, besonders in „Forschen
und Darstellen“, näher eingegangen. Dort habe ich erklärt, was
ich unter einem Kern, unter Kernbegriffen und Kern
sätzen, ferner unter einem Stamm, unter Stammbegriffen
und Stammsätzen verstehe. Als „Kern“ der Geometrie kann
ein Vorrat von „Kernsätzen“, die geometrische „Kernbegriffe“
miteinander verknüpfen, nur gelten, wenn aus ihm der ganze In
halt der Geometrie abgeleitet werden kann. Dabei ist zu beach
ten, daß die Arithmetik der Geometrie vorangestellt und mithin
unabhängig von dieser entwickelt werden kann, aber nicht um
gekehrt; und zwar knüpft die Geometrie ohne Zwischenglied an
die Zahlenlehre an. Demgemäß werden in den Kernsätzen der
Geometrie arithmetische Begriffe zugezogen.
2. In dem Aufsatz „Forschen und Darstellen“ habe ich auch
von Beweisschritten gesprochen. Ein Beweis kann in einem
einzelnen solchen Schritt bestehen. Jeder andere Beweis muß
sich „atomisieren“, d. h. in Beweisschritte auflösen lassen. Voll-
*) Nähere Ausführungen zu einzelnen Punkten dieses Aufsatzes enthält
ein Aufsatz aus dem Jahr 1915: Grundfragen der Geometrie. Journal für
die Mathematik, Bd. 147 (1917), S. 184ff.