Nun wenden wir uns zur Besprechung der Winkel. Der
Handwerker benutzt als Einheit den rechten Winkel und spricht
von einem halben, drittel usw. rechten Winkel. Der
Seemann gebraucht eine andere Einheit: Die Wind
rose hat 32 Striche, so daß ein Strich ein Achtel
des rechten Winkels bedeutet. Hier heißt also die
Einheit ein Strich. Der Astronom benutzt zu ge
wissen Zwecken als Winkeleinheit die Stunde, in
dem er eine naheliegende Vergleichung mit der
Zeit heranzieht: Da die Sonne in 24 Stunden
scheinbar einen Kreis am Himmel durchläuft, teilt
der Astronom den ganzen Umlauf um einen Punkt
in 24 gleiche Teile und nennt einen Teil, d. h.
also den sechsten Teil des rechten Winkels, eine
Stunde. Hier ist mithin die Stunde eine Winkeleinheit und nur
scheinbar eine Zeiteinheit. In der niederen Mathematik und ihren
Anwendungen benutzt man als Winkeleinheit den Grad, d. h. den
neunzigsten Teil des rechten Winkels. Den Grad zerlegt man in
60 Minuten, jede Minute in 60 Sekunden. Minute und Sekunde
sind hier wieder nur scheinbar Zeitgrößen, in Wirklichkeit Winkel
größen.
Gegen die Einheit: Grad läßt sich einwenden, daß sie nur durch
die Überlieferung begründet ist. Von manchen Seiten wird ge
wünscht, die Teilung des rechten Winkels in hundert Grade — die
Zentesimalteilung — einzubürgern, wobei ein Grad in hundert
Minuten, eine Minute in hundert Sekunden zerlegt werden soll.
Aber auch diese dem Dezimalsystem (Zehnersystem) unserer Zahlen
rechnung angepaßte neue Winkeleinheit wäre in der reinen Mathe
matik häufig unbequem, und zwar aus Gründen, die wir erst später
deutlich auseinandersetzen können. Als vorläufiger Notbehelf möge
die folgende Erläuterung dienen:
Wir können offenbar die Lagenbeziehungen zwischen ver
schiedenen Punkten vollkommen erschöpfend dadurch feststellen,
daß wir ihre Entfernungen voneinander, also Längen, abmessen.
Aber wir können dabei, wie es der Feldmesser tut, auch Winkel
benutzen. So ist z. B. Gestalt und Größe eines Dreiecks einerseits
vollkommen bestimmt, sobald man die drei Seitenlängen kennt,
andererseits aber auch, sobald man eine Seitenlänge und die Größen
der beiden anliegenden Winkel kennt. Zwischen Längen und
Winkeln müssen demnach Beziehungen bestehen. Auf diese Be
ziehungen, die der Gegenstand der Trigonometrie sind, gehen wir
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