und funktioneller Zusammenhang
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§1]
20 gezogenen Kugeln eine bestimmte, nach den bekannten Regeln der
Wahrscheinlichkeitsrechnung leicht zu berechnende Wahrscheinlich
keit zu. Sie wird zu einer zufälligen Variablen 21er Ordnung mit
einem anderen Verteilungsgesetze, falls die Zahl der weißen Kugeln
in der Urne nicht die Hälfte, sondern \ oder f ausmacht, sowie in
dem Falle, wenn die gezogenen Kugeln in die Urne nicht zurückgelegt
werden.
Dieses Beispiel der Ziehungen aus der Urne eignet sich gut, um nicht
nur den Begriff der zufälligen Variablen, sondern auch seine Bedeutung
für die wissenschaftliche Forschungsarbeit klarzulegen. Vielfach hat
der Forscher sein Material sich in einer Weise zu verschaffen, welche
den Ziehungen aus einer geschlossenen Urne entspricht. In der Be-
völkerungs- und in der Sozialstatistik haben wir z. B. gelegentlich mit
sogenannten Stichprobenerhebungen zu tun, welche das Schema der
Ziehungen aus der Urne mit oder ohne Zurücklegung der gezogenen
Kugeln genau nachahmen. Der Planktonforscher holt sich aus den
Tiefen des Ozeans kleine Proben der sie bevölkernden Fauna der Klein
wesen, um von diesen Proben auf den Inhalt seiner unermeßlich umfang
reichen „Urne“ zu schließen. Der Arzt entnimmt dem Körper des Pa
tienten ein Tröpfchen Blut, verdünnt es und zählt dann unter dem
Mikroskop die Blutkörperchen in einem winzigen Bruchteil der ver
dünnten Lösung, um auf Grundlage dieses Materials die für seine
Diagnose wesentlichen Eigenschaften des Blutes des Patienten kennen
zu lernen. Die Zahlen der roten und der weißen Blutkörperchen im Zähl
felde seines Hämacytometers haben die Eigenschaften einer zufälligen
Variablen genau derselben Art, wie die Zahlen der weißen und nicht
weißen Kugeln in den von uns oben betrachteten Beispielen.
Durch solche Fälle, wo der Forscher zum Probenehmen absichtlich
greift, wird die Verwendung des Probeverfahrens in der Naturforschung
noch nicht erschöpft. Wenn man näher zusieht, so hat der Forscher
vielfach auch da mit Proben zu tun, wo dies gar nicht beabsichtigt wird.
Wenn der Botaniker eine neue Blume findet und an dem von ihm ge
pflückten Exemplar die Blumenblätter zählt, so ist er eigentlich in der
selben Lage, wie wenn er aus einer Urne mit einer Anzahl von Zetteln,
auf welchen zum Teil verschiedene, zum Teil übereinstimmende Zahlen
geschrieben sind, einen Zettel gezogen und die auf demselben stehende
Zahl gelesen hätte. Pflückt er ein anderes Exemplar seiner neuentdeck
ten Blume, so wird er vielleicht dieselbe, möglicherweise aber eine andere
Zahl treffen. Dieselbe Blume kann ja verschiedene Zahlen bei den ein
zelnen Exemplaren aufweisen: gerade und ungerade, um eine oder um
mehrere Einheiten voneinander abweichende. Prof. C. V. L. Charlier
hat z. B. die Blumenblätter an 321 Exemplaren der Trientalis Europaea
aus der Umgebung von Lund gezählt 1 ): die meisten — fast die Hälfte —
1) Ygl. E. Czuber, Die statistischen Forschung smethoden, S. 115—116.