Einleitung.
Jeder Begriff ist entweder zu erklären, d. h. auf Grundbegriffe
zurückzuführen, oder, wenn das unmöglich ist, als Grundbegriff hin
zustellen.
Jeder Satz ist entweder zu beweisen, d. h. aus Grundsätzen her
zuleiten, oder, wenn das unmöglich ist, als Grundsatz hinzustellen.
Die Unmöglichkeit, einen Begriff auf Grundhegriffe, einen Satz
auf Grundsätze zurückzuführen, ist in jedem einzelnen Falle zu be
weisen, sofern sie nicht schon begrifflich klar ist.
Die Aufgabe: alle Sätze und Begriffe einer deduktiven Wissen
schaft auf Grundsätze und Grundbegriffe zurückzuführen, ist z. T. will
kürlich, also nicht eindeutig, sondern durch mehrere Systeme von
Grundsätzen und -begriffen lösbar. Grundsatz und Grundbegriff haben
daher nur relative Bedeutung.
Die Aufgabe: die Grundlagen (d. h. ein System von Grund
sätzen und -begriffen) der Geometrie aufzustellen, soll im folgenden
zu einer bestimmteren gemacht werden durch die Forderung, daß die
Anzahl der einzuführenden Grundbegriffe und der Inhalt jedes
einzelnen Grundbegriffes und Grundsatzes möglichst klein sei.*)
Dadurch wird eine möglichst vollständige Auseinanderlegung der
Grundlagen in ihre Elementarbestandteile bewirkt.
Die Ermittelung der Grundlagen ist zunächst eine Aufgabe in
duktiver Natur. Aus dem empirischen Rohmaterial an Sätzen und
*) Dagegen sind z. B. Lie (vgl. Lie-Engel, Theorie der Transformations
gruppen Bd. 3, Leipzig 1893, Abteilung 5) und Hohler (vgl. 0. Holder, An
schauung und Denken in der Geometrie, Leipzig 1900, p. 8) der Ansicht, die
Grundsätze seien auf eine möglichst kleine Zahl zu reduzieren. Ebenso
Poincare (vgl. Poincare, Wissenschaft und Hypothese, deutsch von F. und L.
Lindemann, Leipzig 1904, p. 48). Bei Graßmann (vgl. H. Graßmann, Die lineale
Ausdehnungslehre, Werke hrsg. von F. Engel, Leipzig 1894, Bd. I 1 S. 07) und
Veronese (vgl. G. Veronese, Grundzüge der Geometrie, deutsch von A. Schepp,
Leipzig 1894, S. XIII, XVII) findet sich meine Ansicht, soweit sie sich auf die
Grundsätze bezieht.
Vahlen, Abstrakte Geometrie. 1