Einleitung.
1. Mit dem Begriff der Geraden ist der Grundsatz: zwei ver
schiedene Punkte haben eine Verbindungsgerade, untrennbar ver
bunden. Denn wir erzeugten die Gerade als Punktmenge, indem wir
zu den beiden gegebenen Punkten in bestimmter Weise weitere Punkte
binzunabmen. Sollte es sieb als unmöglich heraussteilen, in der vor
geschriebenen Weise weitere Punkte der Geraden anzugeben, so würde
die Gerade lediglich aus den zwei gegebenen Punkten bestehen; aber
der Grundsatz selbst bleibt hiervon unberührt. Nimmt man z. B. be
liebig viele Punkte im Baume an, von denen keine vier in einer Ebene
liegen, und definiert jedes Punktpaar als Gerade, jedes Punkttripel als
Ebene, so sind der angegebene Grundsatz und die übrigen Verbindungs
grundsätze erfüllt; aber jede Gerade bat nur zwei Punkte, jede Ebene
nur drei Punkte, solange nicht das Bestehen der Schnittgrundsätze
gefordert wird. Diese Schnittgrundsätze kamen auf den einen einzigen
zurück:
Zwei verschiedene Geraden einer Ebene haben einen Schnittpunkt.
Dieser Grundsatz ist also nach dem vorhergehenden oder auch
nach II 11 (S. 57) unabhängig von den Verbindungsgrundsätzen.
2. Etwas anderes ist die Frage, ob dieser Schnittgrundsatz als
Erfahrungstatsache angesehen werden darf. Diese Frage ist zu ver
neinen. Denn wenn man auch meistens bemerkt, daß zwei verschie
dene Geraden einer Ebene einen Schnittpunkt haben, so begegnet man
doch auch ebenen Geradenpaaren, die sich nicht in der Zeichenebene
schneiden, bei denen also über die Existenz oder Nichtexistenz eines
Schnittpunktes nichts Bestimmtes ansgesagt werden kann. Demnach
ist die bisher gemachte Annahme, daß ein solcher Schnittpunkt stets
vorhanden ist, als Hypothese anzuseben, neben die sich gleichberech
tigt die andere stellt: Es gibt ebene Geradenpaare ohne Schnittpunkt.
Bei Annahme der ersten Hypothese besteht, wie wir in der projek
tiven Geometrie gesehen haben, ein vollkommener Dualismus für die
Sätze des Verbindens und Schneidens, da ein solcher Dualismus be