Vorrede des Verfassers.
XIII
Weise zu einem Widerspruch führt, wenn sie eine einfache Hypothese ist;
denn ist sie zusammengesetzt, so können einzelne Theile auch wahr und frucht
bar sein. Wenn das mathematische Problem über die Fundamente der Mathe
matik und Geometrie bis an die Schwelle des philosophischen Problems über
den Ursprung der mathematischen und geometrischen Ideen vordringt, so geht
es doch nicht über diese Schwelle hinaus. Dies ist ohne Zweifel eine grosse
Wohlthat für unsre Wissenschaft, weil sie sonst in ihren Principien den viel
fachen philosophischen Ansichten anheimgegeben wäre, die sich um die Wahr
heit streiten. 1 ) Aus Furcht in das Unbestimmte zu gerathen soll man aber
auch nicht die Mathematik und Geometrie in ihren Fundamenten auf einen
reinen Zeichenconventionalismus reduciren wollen, wohl aber soll man sie auf
philosophische Art behandeln, d. h. die Natur der Dinge, mit denen man sich
beschäftigt, möglichst klar machen, ohne desshalb die Bedeutung andrer Me
thoden zu bestreiten, die von einem andern aber beschränkteren Gesichtspunkt
ausgehen.
Es ist ja möglich, ohne eine bestimmte Hypothese oder Uebereinkunft
z. B. ohne die imaginären Zahlen auszukommen; es hätte dies aber nicht allein
eine durchaus ungerechtfertigte Beschränkung des mathematischen Gebiets zur
Folge, sondern würde auch Nichts gegen die Hypothese und ihre Consequenzen
in dem Gebiet selbst unabhängig von dieser Hypothese beweisen. Es kann
Vorkommen, dass fruchtbare Hypothesen zu Widersprüchen führen, wie bei der
Differenzial- und Integralrechnung der Fall war; man muss dann aber beach
ten, ob dies die Folge des Princips der Hypothese ist, in welchem Fall sie
zu verwerfen wäre, oder ob es daher kommt, dass dieses Princip nicht genau
definirt und mithin das Gebiet seiner Gültigkeit nicht genau umschrieben
worden ist. Um solche Unzuträglichkeiten zu vermeiden, muss man desshalb
die Hypothese in ihre einfachen Theile zerlegen, diese getrennt betrachten
und (wie wir später genauer ausführen werden) durch die Principien und
Operationen der Logik oder wenigstens durch Thatsachen der Erfahrung recht-
fertigen.
Will man uns der hier ausgesprochenen Ideen wegen llationalisten oder
Idealisten nennen, so nehmen wir den Titel an zum Unterschied von denjenigen,
1) Wer sich eine Vorstellung von dem philosophischen Problem über die Grundbegriffe
der Mathematik und Geometrie machen will, mag z. B. F. Masci's: „Sulla natura logica
delle conoscenze matematiche“ (Rom, 1885) nachlesen, Welcher freilich ein Kantianer inso
fern ist, als er die absolute Wahrheit aller Euclid'sehen Postulate vertritt und die Mög
lichkeit einer Geometrie von mehr als drei Dimensionen leugnet. Es scheint übrigens, als
ob Kant nicht immer ein Gegner dieser Geometrie gewesen wäre, weil er nach dem zu
urtheilen, was er in seinen „Gedanken der wahren Schätzung der lebendigen Kraft“ sagt,
vielmehr an die Existenz verschiedener Räume glaubte. Kaufs Werke Bd. V, S. 25. Siehe
B. Erdmann: „die Axiome der Geometrie“. Leipzig, 1871. Ebenso auch B. Baumann:
„Die Lehren von Raum, Zeit und Mathematik in der neuern Philosophie nach ihrem ganzen
Einfluss dargestellt und beurtheilt.“ Berlin, 1868 — 1869. In dem ersten Band und einem
grossen Theil des zweiten wird eine weitläufige und kritische Auseinandersetzung über die
Ideen, welche die Hauptphilosophen von Suarez an bis Hume über die Grundbegriffe der
Mathematik gehabt haben, vom philosophischen Standpunkt des Verfassers aus gegeben.
Man kann übrigens behaupten, dass es keinen tüchtigen Philosophen gibt, welcher sich
nicht mit vielem Interesse mit den mathematischen Ideen beschäftigt und häufig die Re
sultate der Mathematik zur Unterstützung seiner eignen Betrachtungen benutzt hätte.