Full text: Grundzüge der Geometrie von mehreren Dimensionen und mehreren Arten gradliniger Einheiten in elementarer Form entwickelt

Vorrede des Verfassers. 
XVII 
So ist auch in den besseren modernen Abhandlungen gewöhnlich von Raum, 
Fläche und Linien die Rede, ohne dass man ihre gut bestimmte Definition oder 
mathematische Construction gegeben hätte, so dass von allem Diesem, wenn 
man von der Anschauung abstrahirt, kein bestimmter Gegenstand übrig bleibt. 
Man benutzt auch das Axiom über die Bewegung der Körper ohne zu sagen, 
was ihr in abstractem Sinn entspricht und was abstract der Bewegung ohne 
Deformation entspricht u. s. w. 
Man behauptet, einige Begriffe, z. B. derjenige des Raums, könnten über 
haupt nicht definirt werden. Auch hier muss man unterscheiden. Der Raum 
als Anschauung wird nicht definirt, als Begriff dagegen kann man ihn geo 
metrisch wie wir es z. B. thun, definirem 1 ) Und wenn die Anschauung für das 
Bestehen der Geometrie nöthig ist, so muss sie desshalb, wie nützlich sie auch 
sein mag, kein nöthiges Element bei der logischen Entwicklung der Geometrie 
sein. 2 ) Der Unterschied, den wir zwischen eigentlich sogenannten Axiomen, 
Postulaten oder Hypothesen gemacht haben, verschwindet und muss verschwin 
den, wenn man von der Anschauung abstrahirt. 
Die Axiome müssen Eigenschaften der Anschauuug zum Ausdruck bringen 
grade weil die Grundbedingung der Geometrie die Raumanschauung ist; d. h. 
sie müssen ein klares Bild der Dinge, welche sie definiren, geben. 3 ) Zu diesem 
Zweck haben wir jedem Axiom empirische Betrachtungen vorausgehen lassen, 
welche jedoch der Bedingung VI entsprechend als nöthige Elemente in der 
Abfassung der Axiome und ihren Folgerungen nicht auftreten. Die Axiome 
sollen einfach sein, damit man ihre Nothwendigkeit und Unabhängigkeit besser 
ersieht. Ein Axiom kann auch aus mehreren Theilen zusammengesetzt sein, 
um mit ihm sofort die Eigenschaften, welche einen gegebenen Gegenstand von 
den andern unterscheiden, bezeichnen zu können, wie unser Axiom II über die 
grade Linie; das Axiom muss aber in seinen einzelnen einfachen Theilen ge 
prüft werden. 
Offenbar dürfen stillschweigend keine wenn auch augenscheinliche Eigen 
schaften eingeführt werden, welche entweder von den Axiomen nicht abhängen 
oder deren Beweis zu viel Vorbereitung erfordert, um sie als unmittelbare Folge 
der vorhergehenden Dinge betrachten zu können. So muss man es, um peti 
tiones principii zu vermeiden, auch so einrichten, dass die Axiome und Sätze 
nicht aus Wahrheiten und Begriffen hervorgehen, deren Beweis oder Erklärung 
später gegeben wird. Euclid z. B. benutzt bei der ersten Proposition seines 
Buchs I der Elemente zur Construction des gleichseitigen Dreiecks, wenn die 
Seite gegeben ist, zwei Kreise, welche sich in zwei Punkten der Ebene sehn ei - 
1) Siehe Theil I, Buch III. 
2) Die Philosophen, welche bestreiten, der Raum sei ein Begriff und keine Anschauung, 
haben insofern Recht, als rein abstracte Betrachtungen, um so weniger numerische, niemals 
zu der Raumanschauung führen können. 
3) Monge (Seances des ecoles normales Bd. I. Paris 1795 und 2. Ausg. 1800) bemerkt 
z. B., dass die Definition der Graden als einer Linie, deren Punkte fest bleiben, wenn ein 
Körper um zwei seiner Punkte rotirt, nicht allein nicht einfach ist, sondern grade den 
Fehler hat, dass sie kein Bild gibt. 
Veronese, Geometrie. 
b
	        
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