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Historisch-kritische Untersuchungen über die Principien der Geometrie.
und Unstetigen aus, ohne sie zu definiren (I, 1), setzt dann aber stillschweigend
das Zahlencontinuum und die Stetigkeit der Functionen im Allgemeinen als bekannt
voraus (II, 2). ,,Die einfach ausgedehnte Mannigfaltigkeit“ ist dadurch unter
schieden, dass von einem Element (Punkt) aus ein stetiger Fortgang nach zwei
Seiten möglich ist, vorwärts und rückwärts. Wie man sieht ist dies abstract
genommen keine gut bestimmte Definition, weil weder Seiten, noch vorwärts
noch rückwärts und ebensowenig stetig definirt werden.
Er spricht dann von einem „veränderlichen Stück“ einer Mannigfaltigkeit
einer Dimension, ohne zu sagen, was er unter „Stück“ einer solchen Mannig
faltigkeit versteht (I, 3).
Hätte Riemann seine Begriffe besser bestimmen wollen, ehe er das Zahlen
continuum (x 1 x 2 ,...x n ) und die Stetigkeit der Functionen annimmt, welche
er später zur Ermittlung der Massbeziehungen einer Mannigfaltigkeit von n Di
mensionen benutzt, so hätte er unsrer Ansicht nach die sämmtlichen ersten
Paragraphen durchaus umändern müssen. x ) Er ist auch an vielen andern Stellen
seiner Arbeit dunkel.
Nachdem er die Erzeugung einer Mannigfaltigkeit von n Dimensionen ge
geben hat, sucht er zu beweisen, dass das Element der Mannigfaltigkeit durch
n stetige unabhängige Grössen x x , x 2} . . ., x n bestimmt wird und dass umge
kehrt n Grössen x n ..., x n ein einziges Element der Mannigfaltigkeit bestimmen.
Er setzt auch stillschweigend voraus, dass der Zusammenhang zwischen den
Elementen der Mannigfaltigkeit und dem Zahlencontinuum (x lf x 2 , ..., x n )
stetig sei, d. h. dass einer unendlich kleinen Aenderung des Elements eine
unendlich kleine Aenderung des Continuums (x 1} x 2} ... xf) entspricht und
umgekehrt, wobei er unter unendlich klein das potentiale und nicht das actuelle
unendlich Kleine verstellt.
Dies ist im Grund die erste Hypothese, die Riemann einführt. Er erklärt
ausführlich in Kapitel II, dass wesentliches Kennzeichen einer Mannigfaltigkeit
von n Dimensionen die Bestimmung des Elements mittelst n Grössen (Coordi
nateli) sei. G. Cantor bemerkte dagegen, dass dies Kennzeichen nicht genügt,
weil auch die Stetigkeit des Zusammenhangs zwischen den Elementen der
Mannigfaltigkeit und den Werthesystemen des Continuums (x } , x 2) ..., xf)
nöthig ist, weil man, falls diese Stetigkeit nicht gelten sollte, die Bestimmung
der einzelnen Elemente der Mannigfaltigkeit auf eine einzige reelle und stetige
Variable oder Coordinate reduciren könnte, derart, dass ohne diese Bedingung
die Anzahl der unabhängigen rellen und stetigen Coordinateli, welche zur
alleinigen und vollständigen Bestimmung der Elemente einer Mannigfaltigkeit
von n Dimensionen dienen, auf eine willkürliche Anzahl von Veränderlichen
zurückgeführt werden kann.Cantor (Gött. Nadir. 1879, S. 127) und Lüroth
haben später strenge Beweise geliefert, dass diese Bedingung zur Bestimmung
der Mannigfaltigkeit auch ausreichend ist. H )
1) Siehe unsre Einleitung.
2) Creile's Journal. Bd. 84, 1878. Franz. Uebers. in den Acta Math. Bd. II.
3) Mit diesem Gegenstand haben sich auch Jürgens, Thomae und Netto beschäftigt.
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