698 Bemerk, über einige Beweise gegen das actual Unendlichgrosse und Unendlichkleine.
ohne Zuhiilfenahme des Postulats über die Parallelen darthun will, dass die
Summe der Winkel eines Dreiecks zwei Rechte beträgt; denn Schumacher be J
nutzt die unendliche Grösse nicht richtig. Gauss hat auch Recht, Avenu er sagt,
das Unendlichgrosse und Unendlichkleine seien rein potentiell, so lange man
in dem endlichen Gebiet allein bleibt; wir haben in diesem Fall im Text die
Worte unbegrenzt gross und unbegrenzt klein gebraucht. 1 ) Wir müssen aber
trotz der hohen Achtung, die Avir vor der Autorität des grössten deutschen
Mathematikers hegen, sagen, dass dies kein BeAveis gegen das actuale Unendlich-
grosse ist.
Bolzano 1 2 * ), Avelcher trotz vieler fehlerhafter Raisonnements in seinem kleinen
Werk, Avie G. Cantor bemerkt, das Verdienst hat, die Möglichkeit des actualen
Unendlichgrossen erkannt zu haben, macht vor dem unendlich grossen auf beiden
Seiten begrenzten gradlinigen Segment Halt und bestreitet es.
Hierher gehört auch der BeAveis gegen das Unendliche des Professors
Guteberiet in einem an G. Cantor"') gerichteten Brief, welcher sich auf das Fol
gende reducirt: Wenn ein begrenztes unendlich grosses gradliniges Segment
(AB) gegeben ist, so schneide man \ r on A aus ein endliches Stück (MA) ab;
lässt man dann das Segment (XB) von X nach A hin sich bewegen, bis X
nach A gelangt, so tritt der Punkt B aus dem Unendlichgrossen heraus (!) und
das Segment (XB) wird endlich; mithin ist (MA) -f- (XB) endlich. Wie bei
unserm unendlich grossen Segment (AB) existirt ein Punkt X' im Unendlich
grossen derart, dass (X'B) (MX) ist, und da das Commutationsgesetz gilt,
so ist (MX') == (XB).
Der eilige Leser möge sich ferner hüten, unsre Unendlichgrossen mit den
jenigen Fontenellës, früheren Secretärs der Akademie von Frankreich, in seinen
Elements de la géométrie de l'infini (Paris, 1727) zu verwechseln, denn auch
er gebraucht, Avie es heute in anderm Sinn geschieht, die Benennungen unendlich
gross und unendlich klein von verschiedenen Ordnungen und wendet wie wir
häufig das Zeichen co an.
Wir brauchen hier die verschiedenen offenbaren Widersprüche dieses Autors
nicht anzugeben, wir beziehen uns auf die gewichtigen Gründe, mittelst deren
einige Mathematiker das System Fontenellës zerstört haben. 4 )
Es wäre oft bei dieser Avie bei andern ähnlichen Fragen von Interesse, die
Kritiker selbst zu kritisiren, demi wenn geAvisse Autoren Vorurtheile gehabt
haben, so sind ihre Kritiker nicht frei davon geblieben. Wir können z. B.
Achard und Gerdil in dem von ihnen versuchten BeAveis gegen die actuale
unendlich grosse Zahl nicht folgen; man muss dagegen anerkennen, dass sich
1) Siehe die Anm. auf S. 142.
2) Paradoxien des Unendlichen. Leipzig. 1847.
8) Zeitschrift für Phil, von Fichte. Bd. 91. Fase. I, S. 99 oder auch: Zur Lehre vom
Transfiniten. Halle. 1890.
4) Maclaurin, Treatise of Fluxions. 1742. Einl. S. XLI — XLY. lvard. Gerdil's Opere
édité e inedite. Rom. 1806. Bd. IV, S. 261 u. Bd. V, S. 1. Pie in Bd. V abgedruckte Ab
handlung „De 1 infini absolu considéré dans la grandeur“ wurde zuerst in den Miscellanea
laurinensia der Jahre 1760, 1761 veröffentlicht. Achard, Réflexion sur l'infini mathématique.
Königl. Ak. zu Berlin. 1745.