Full text: Grundzüge der Geometrie von mehreren Dimensionen und mehreren Arten gradliniger Einheiten in elementarer Form entwickelt

Bemerk, über einige Beweise gegen das actual Unendlichgrosse und Unendlichkleine. 699 
bei Fontenelle (a. a. O. S. 30) und specieller bei Gerdil die Vorstellung der 
unendlich grossen Zahl m Ccmtor's vorfindet. Gerdil sagt in der That auf 
S. 268, Bd. IV, a. a. 0.: 
„Die natürliche Reihe der Zahlen ist potentiell unendlich gross insofern 
man sich denkt, dass es keine angebbare Zahl in dieser Reihe gibt, zu welcher 
man nicht andre immer durch eine unbegrenzte Addition von Einheit zu Ein 
heit hinzufügen kann. Diese Möglichkeit beständig ohne irgend ein Ende ein 
Glied zu einem andern hinzuzufügen bildet das Unendlichgrosse potentiell. Das 
potentiell Unendlichgrosse wird nun das actuell Unendlichgrosse nur dann, 
wenn dasjenige, welches man sich bei dem potentiell Unendlichgrossen als in 
der Bildung begriffen denkt, als bereits geschehen und vollendet gedacht wird. 
Die thatsächliche Unendlichkeit ist so zu sagen die Ausführung oder Voll 
bringung der Möglichkeit, welche das potentiell Unendlichgrosse bildet. Die 
potentiell unendlich grosse natürliche Reihe kann daher nur dadurch actuell 
unendlich gross werden, dass man sich diese Möglichkeit der Addition von Zahl 
zu Zahl vollständig ausgeführt denkt.“ 
Es ist dies die Idee G. Cantor’s, wenn er sagt: 
„So widerspruchsvoll es daher wäre, von einer grössten Zahl der Classe (/) 
zu reden, hat es doch andrerseits nichts Anstössiges sich eine neue Zahl, wir 
wollen sie co nennen, zu denken, welche der Ausdruck dafür sein soll, dass der 
ganze Inbegriff (1) in seiner natürlichen Succession dem Gesetze nach gegeben 
sei.“ 1 ) (Siehe unsre Anm. auf S. 118.) 
Gerdil fährt dann fort: 
„Und da keine Zahl möglich ist, welche in der natürlichen Reihe nicht 
vorkäme (liier liegt der Irrthum) und es keine Zahl gibt, welche ihr nicht hinzu 
gefügt werden könnte, so ist es, damit diese Reihe thatsächlich unendlich gross 
werden kann, auch nöthig, dass keine Zahl möglich sei, welche man sich nicht 
thatsächlich hinzugefügt denkt. Diese Reihe kann daher nicht in der That 
unendlich gross sein, weil sie nicht alle möglichen Zahlen oder die ganze Mög 
lichkeit der Zahlen enthält.“ 
Hätte dabei Gerdil nicht im Voraus an einen später zu gebenden BeAveis 
gegen die Ewigkeit des Weltalls gedacht, so hätte er leicht die Zahl co Cantor s 
finden können, wie dies wohl auch einem unparteiischem Kritiker bei der 
Prüfung .dieses Gedankengangs möglich gewesen wäre. 
Der Abbé Moigno bringt in seiner „Impossibilité du nombre actuellement 
infini. La science dans ses rapports avec la foi (Paris, 1884)“ mathematisch 
nichts Neues gegen die actual unendlich grosse Zahl vor. 
Von einer andern Art sind die Unendlichkleinen von J. Bernoulli 1 2 3 4 ), l’Hospi- 
tnl'■), Boisson). Bernoulli schreibt an Leibniz: 
„Dico . . . infinita et infinite parva non 'posse demonstrari existere, secl 
1) Z. B. Acta math. Bd. 2, S. 385. 
2) Leibnitii et Iohannis Bernoulli commercium philos, et mathem. 1745. Bd. I, S. 370—440. 
3) Analyse des infiniments petits, 2. Ausg. Paris. 1716. 
4) Traité de mécanique, 2. Ausg. 1833.
	        
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