AKADEMISCHE ANTRITTSREDE.
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welche die Akademie mit Ihrem Beifall geehrt hat, obgleich ich sie erst in
unvollkommener Gestalt habe veröffentlichen können, so brauche ich wohl
nicht ausdrücklich anzugeben, in welcher Richtung das Ziel liegt, wohin sich
zunächst nun meine Bestrebungen werden richten müssen.
Glücklich aber würde ich mich schätzen, wenn ich späterhin aus meinen
Studien auch für die Anwendungen der Mathematik, namentlich auf Physik,
einigen Gewinn ziehen könnte. Ich habe schon angedeutet, dass es mir
keineswegs gleichgültig ist, ob eine Theorie sich für solche Anwendungen
eigne oder nicht. Dabei fürchte ich nicht, dass man mir vorwerfe, es werde
die Bedeutung, welche die Mathematik als reine Wissenschaft mit vollstem
Rechte beansprucht, herabgesetzt, wenn ich sie ganz besonders auch darum
hochstelle, weil durch sie allein ein wahrhaft befriedigendes Verständniss der
Naturerscheinungen vermittelt wird. Niemand zwar kann bereitwilliger als
ich es anerkennen, dass man den Zweck einer Wissenschaft nicht ausserhalb
derselben suchen darf, und dass es nicht nur ihre Würde beeinträchtigen,
nein, dass es geradezu an ihr sich versündigen heisst, wenn man, statt sich
ihr mit vollster Liebe und Hingebung zu widmen, nur Dienste von ihr
verlangt, nur sie brauchen will für irgend eine andre Disciplin oder für die
Bedürfnisse des Lebens, und darum wohl gar sich vermisst, der weiter
schreitenden Forschung ihren Weg vorzeichnen zu wollen, und jede Richtung
verwirft, die nicht sofort zu practisch verwerthbaren Resultaten zu führen
scheint. Ich meine aber, es muss das Verhältniss zwischen Mathematik und
Naturforschung etwas tiefer aufgefasst werden, als es geschehen würde, wenn
etwa der Physiker in der Mathematik nur eine wenn auch unentbehrliche
Hülfsdisciplin achten, oder der Mathematiker die Fragen, die jener ihm stellt,
nur als eine reiche Beispiel - Sammlung für^ seine Methoden ansehen wollte.
Ich darf jedoch heute diesen Gegenstand, der mir allerdings sehr am Herzen
liegt, nicht weiter verfolgen. Auf die Frage aber, die ich schon vernommen,
ob es denn wirklich möglich sei, aus den abstracten Theorien, welchen sich
die heutige Mathematik mit Vorliebe zuzuwenden scheine, auch etwas un
mittelbar Brauchbares zu gewinnen, möchte ich entgegnen, dass doch auch
nur auf rein speculativem Wege griechische Mathematiker die Eigenschaften
der Kegelschnitte ergründet hatten, lange bevor irgend wer ahnte, dass sie
die Bahnen seien, in welchen die Planeten wandeln, und dass ich allerdings
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