lektik zu rechtfertigen. Mit der Scholastik hat der Geist des Mittel-
alters etwas wie eine Sakralarchitektur des Denkens errichtet, er hat
ein Denksystem geschaffen, das sich der Konstruktionsphantasie der
gotischen Baukunst vergleichen läßt. Hier und dort wird der Tri-
umph der prästabilierten Idee verkündet. Bezeichnend ist, daß
Grundgedanken dieser Lehre nicht nur aus der griechischen Antike,
sondern auch aus dem Orient stammen, aus der arabischen und Jü-
dischen Philosophie. Auch hier kommt der Einfluß des Aufenthalts
in Palästina, kommen Folgen der Kreuzzüge zum Vorschein. Es
wurde sozusagen spitzbogenhaft gedacht. Will man vergleichen, so
mag man an jene idealistische Dialektik denken, die im achtzehnten
Jahrhundert, von jesuitischen Anregungen abstammend, neben dem
Barock und Rokoko einherging, und an die Gedankensystematik der
Enzyklopädisten. In beiden Fällen handelt es sich um eine Form des
Pantheismus, um ideologisch gebundene Aufklärung, um synthe-
tisch gerichtete Spekulation. Und in beiden Fällen auch um etwas
Vorrevolutionäres, Wie den Lehren der Enzyklopädisten die große
französische Revolution folgte, so war die Scholastik ein früher Vor-
bote der Reformation,
Sie war freilich nur ein Symptom des Zeitgeistes neben andern
Zeichen. Im gleichen Schritt mit ihr ging die Mystik einher. Diese
war der Teil einer persönlichen, einer nicht länger kollektiv streng
gebundenen Frömmigkeit. Intellektuell war sie der Scholastik ver-
wandt. Sie setzte an die Stelle der Gemeindeandacht eine persön-
liche Andacht, und verlegte die Heilserkenntnis ganz in das Sub-
jekt; sie lehrte, es genüge nicht, den Weisungen der Kirche zu fol-
gen, der Mensch müsse vielmehr die ganze Schwere der Verant-
wortung auf sich nehmen, er dürfe sich nicht vom Priester erlösen
lassen, sondern müsse sich selbst erlösen. Auch hier wittert man re-
formatorischen Geist. Die Mystiker waren nicht kirchenfeindlich ;es
war so, daß sie Höheres von der Kirche forderten, sie wollten das
starr Gewordene mit neuer Lebendigkeit erfüllen. Eckhart zog pre-
digend durch Deutschland und fand eine große Gemeinde. Nicht
weniger Zulauf hatten die predigenden Bettelmönche, die eine volks-
tümliche Theologie zu schaffen bemüht waren — mit Hilfe des
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