Full text: Lehrbuch der Experimental-Physik oder Erfahrungs-Naturlehre (Vierter Band)

Von der doppelten Stralenbrechung. 345 
hin zur Berechnung, nicht der veränderlichen Geschwindigkeit, mit 
der sich die Lichttheilchen durch den krummlinigen Theil ihrer Bahn 
bewegen, noch der Beschaffenheit dieser Bewegung, sondern blos 
der Verhältnisse der endlichen Geschwindigkeiten und Richtungen, 
welche dann eintreten, wenn der Abstand der Lichttheilchen von 
der brechenden Oberfläche, sey es innerhalb oder außerhalb des 
brechenden Mittels, beträchtlich genug geworden ist, um die Bahn 
des Strals als nicht merklich mehr von der geradlinigen abwei 
chend annehmen zu können: welches die Gränzen der Weite, 
innerhalb welcher noch Beobachtung Statt haben kann, vollkom 
men umfaßt. 
Anlangend die ungewöhnliche, durch die Krystallkörper hervor 
gebrachte, Brechung, so hat man hier nicht einmal diesen Vortheil, 
eine Ansicht über den Ursprung der Molecularkraft oder die Art, 
wie sie von jedem Theilchen des Krystalls besonders ausgeht, zu 
Grunde legen zu können; denn wenn wir oben die Erscheinungen 
durch Anziehungs-- oder Abstoßungskräfte, welche von Axen aus 
gehen, zu erklären suchten, so war es immer nur ein zusammenge 
setztes Resultat, nicht der Ausdruck der Molecularwirkung, was wir 
zu Grunde legten ^). Was man also für diesen Fall weiß, oder 
wenigstens voraussetzen muß, wenn man der Ansicht der Materiali 
tät des Lichts folgt, ist, daß die, die Lichtstralen sollicitirenden, 
Kräfte, welcher Beschaffenheit sie auch seyn mögen, in diesem Fall, 
wie in jedem andern, von den Theilchen der brechenden Körper aus 
gehen, und anziehend oder abstoßend sind, mögen sie nun gleichartig 
auf alle Lichttheilchen wirken, oder verschieden je nach den beson 
dern Modificationen, welche die Lichttheilchen darbieten. In allen 
Fällen nun, wo ein materielles Theilchen durch solche Kräfte solli- 
citirt wird, ist seine Bewegung an eine allgemeine Bedingung der 
Mechanik gebunden, welche man Satz der kleinsten Wirkung 
(principe de la moindre action) nennt. Durch Anwendung dieses 
Satzes auf unsere Aufgabe, mit Hinzufügung der besondern Bedin 
gung, daß die Kräfte nur auf sehr kleine Weiten merklich seyen, 
hat Laplace zwei Gleichungen hergeleitet, in welchen die vollstän 
dige und allgemeine Bestimmung der Richtung des gebrochenen 
Strals für jede gegebene Einfallsrichtung enthalten ist, so bald man 
das Gesetz der endlichen Geschwindigkeit der Lichttheilchen, im In 
nern des brechenden Mittels, in einer merklichen Weite von seinen 
Oberflächen kennt. 
* Na'mlich im Grunde wirkt nicht die Axc an sich in den Krystallen, son 
der» jedes einzelne Theilchen der Krystalle äußert seine eigne individuelle Wir 
kung auf das Licht, und nur aus der Zusammensetzung der Wirkungen aller die 
ser einzelnen Theilchen geht eine Gcsammtwirkung hervor, wie sie von einer sol 
chen Are ausgehend gedacht werden kann. Um auf den Grund der Erscheinun 
gen zu dringen, mußten aber die Gesetze der Kräfte, wie sie von jedem einzelnen 
Theilchen geäußert werden (Molecularkräfte), bekannt seyn.
	        
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