Full text: Sonderdrucke, Sammelband

'797 
16. Decbr. DEUTSCHE LITTERATURZEITUNG 1882. Nr. 5o. 
1798 
ist aber in doppelter Beziehung eine schwierige Auf 
gabe; denn einerseits führt die Fülle des vorhandenen 
Materials leicht zu einer den Leser abschreckenden 
Breite, während andererseits durch die getroffene Aus 
wahl häufig wesentliche Lücken und Unvollständigkeit 
entstehen. 
Deshalb darf man dem hochverehrten Herrn Verf. 
des vorliegenden Buches bestens gratulieren, dass es 
ihm geglückt ist, aufserordentliche Reichhaltigkeit mit 
gedrängter Kürze zu vereinigen. Allerdings ist vieles 
darin wol nicht für den Anfänger geschrieben und nur 
für solche leicht verständlich, die sich bereits mit ana 
lytischer Geometrie beschäftigt haben, auch werden 
Vorkenntnisse aus der Algebra und aus der Determi 
nantentheorie vorausgesetzt. Die knappe Fassung hat 
es aber möglich gemacht, dass auch die Sätze, welche 
man der neueren synthetischen Geometrie verdankt, in 
den Kreis der Betrachtungen gezogen und durch ana 
lytische Geometrie elegant hergeleitet sind. Dagegen 
ist von der Differentialrechnung nur an wenigen Stellen 
Gebrauch gemacht, wodurch die Grenzen für den Inhalt 
des Buches vorgeschrieben waren. Der Verf. beginnt 
nemlich mit der Geometrie des Raumes von einer 
Dimension, wobei das Wesentliche über die Lage von 
Punkten in einer Geraden gesagt wird. Dann folgt die 
Geometrie des Raumes von zwei Dimensionen, in der 
zunächst die Begriffe der Projectivität, der Coordinateli 
eines Punktes in der Ebene, der Collinearität und der 
Reciprocität auseinandergesetzt sind. Daran scbliefsen 
sich Erläuterungen und Aufgaben über geometrische 
Oerter und über die Gleichungen von Linien. Dies 
führt zur Erzeugung des Kreises, der Kegelschnitte und 
einer ganzen Reihe von anderen interessanten Curven, 
die teilweise sogar transcendent sind. Erst nachdem 
einige Eigenschaften dieser Curven und Anwendungen 
davon auf die graphische Lösung von cubischen und 
biquadratischen Problemen besprochen sind, bringt der 
Verf. die eingehende Untersuchung der Geraden und 
der Linien zweiter Ordnung und schliefst diesen Ab 
schnitt, indem er die gemeinsamen Eigenschaften und 
Singularitäten der Linien nter Ordnung entwickelt. 
Eine ähnliche Anordnung des Stoffes findet sich 
in der analytischen Geometrie des Raumes von drei 
Dimensionen. Auch hier werden zunächst die ver 
schiedenen Coordinatensysteme, die Gleichungen von 
Geraden und Ebenen, die Begriffe der Collineation und 
Reciprocität definiert. Darauf folgt eine Besprechung 
der Flächen und der unebenen Linien (Curven doppelter 
Krümmung), wobei neben den Flächen zweiter Ord 
nung auch sogleich die gemeinsamen Eigenschaften 
der Flächen höherer Ordnung untersucht werden, wäh 
rend die ausführliche Behandlung der Flächen zweiter 
Ordnung den Schluss bildet. Der Herr Verf. legt auf 
diese Anordnung Wert, und auch mit Recht: denn der 
Lernende wird mit gröfserem Interesse an die er 
schöpfende Untersuchung der Kegelschnitte und der 
Flächen zweiter Ordnung herantreten, wenn er bereits 
vorher durch die Bekanntschaft mit anderen geometri 
schen Gebilden seinen Gesichtskreis erweitert hat. 
Der Vorzug des Buches liegt aber wol hauptsäch 
lich in den aufserordentlich zahlreichen historischen 
Bemerkungen und Litteratur-Nachweisen, die von der 
grofsen Belesenheit und den gründlichen Studien des 
Herrn Verf. ein beredtes Zeugnis ablegen. Die geo 
metrischen Arbeiten aller Zeiten sind gewissenhaft 
berücksichtigt und bei den einzelnen Sätzen, Methoden, 
Bezeichnungen u. s. w. hervorgehoben, von wem sie 
herrühren. Dadurch ist das Buch ein wahrer Schatz für 
geometrische Forschung geworden, denn der L.eser 
findet darin auf die bequemste Weise die Quellen, aus 
denen die angegebenen Resultate geschöpft sind. 
Hannover. L. Kiepert. 
Volkswirtschaft und Gewerbe 
wissenschaft. 
Wilhelm Friedensburg, Zur Arbeiterfrage. Eine volkswirt 
schaftliche Studie. Breslau, Schottlaender, 1882. X u. 322 S. 
gr. 8°. M. 5. 
Verf. will die heutige Erwerbs- und Eigentums 
ordnung erhalten und sucht die bei ihr stattfindende 
Verteilung des Productionsertrages an die bei dem 
Productionsprocess Beteiligten in Form des Unter 
nehmerlohnes, der Grundrente, des Kapitalzinses und 
des Arbeitslohnes socialistischen Angriffen gegenüber 
als berechtigt nachzuweisen. Seine Rechtfertigungs 
gründe setzen aber die heutige Erwerbs- und Eigen 
tumsordnung als etwas Selbstverständliches, Naturge- 
mäfses voraus, und da ist es denn natürlich leicht, ihre 
Ausflüsse, d. h. den Unternehmerlohn und den Kapital 
zins, zu verteidigen. Die Socialisten greifen diese auch 
nicht innerhalb der bestehenden Erwerbs- und Eigen 
tumsordnung an, sondern geben hier ihre Notwendigkeit 
vollkommen zu, und sehen sich daher zu ihrer Beseiti 
gung zu einer Negierung des Eigentums selbst ge 
zwungen. — Um die Notwendigkeit oder Entbehrlich 
keit des Privateigentums (vor allem an dem Produc- 
tionsmittel) dreht sich demnach der Streit; wer dies 
negiert macht sich seine Sache daher allzu leicht und 
seine Argumentationen werden niemand überzeugen, der 
nicht bereits überzeugt war. Von nicht gröfserem 
Werte ist der positive Vorschlag des Verf. zur Beseiti 
gung der vorhandenen Misstände. Da die bisherige 
Verteilung des Productionsertrages gerecht ist, so 
braucht nicht eine bessere Verteilung sondern es muss 
eine gröfsere Production angestrebt werden, und 
um diese zu erreichen soll nun nicht, wie bisher, nur 
der Unternehmer, sondern auch der Arbeiter an der 
Erzielung des höchstmöglichen Erträgnisses interessiert 
werden. Zu diesem Zweck sollen sich Corporativ- 
Associationen der Arbeiter bilden, durch welche der 
Arbeiter nicht, wie bisher, durch den Arbeitslohn seines 
Anrechts auf eine Quote des Gesammtproductes sich 
zu entäufsern gezwungen wird, sondern die ihn in den 
Stand setzen, sich zum Miteigentümer des Productes 
der ganzen Gütererzeugung zu erheben und ihn so, 
durch den Anteil an dem Ertrage, zu einer energischeren 
Entfaltung seiner Arbeitskraft bewegen. Dieser Ge 
danke, durch Arbeiterassociationen den Arbeiter zu 
gleich zum Unternehmer zu machen, ist keineswegs 
neu. Rein principielle Bedenken sind es auch nicht, 
welche die Verwirklichung desselben bisher verhindert 
haben, vielmehr liegt die Unmöglichkeit, auf diesem 
Wege die socialen Zustände wesentlich zu bessern, in 
den praktischen Schwierigkeiten, die die manigfachen 
Versuche, welche mit der Durchführung dieser Idee,
	        
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