Kalibrierung von Meßkammern
auf Grund von Modelldeformationen
H. Schoeler
1. Einleitung
Besonders in neuester Zeit, kommt mit der Einführung analy
tischer Berechnungsmethoden in der Photogrammetrie der
Ausschaltung von Einflüssen, die aus der Verzeichnung der
optischen Meßsysteme herrühren, eine große Bedeutung zu.
Zu einem Teil hat die instrumentenbauende Industrie ver
sucht, Verzeichnungsfehler durch Einführung von Kompen
sationsplatten auf einem praktisch vernachlässigbaren Wert
zu ha'ten. Daneben kommt aber der Kalibrierung einer Meß
kammer (Aufnahmekammer oder Auswertekammer) eine
ebenso große Bedeutung zu. Während die Kalibrierung der
Aufnahmegeräte überwiegend durch die Hersteller oder be
sondere Eichlaboratorien erfolgt, fällt die Bestimmung der
Konstanten eines Auswertegerätes in der Regel dem Auswerter
zu. Die Praxis zeigt, daß sowohl bei der Konstantenbestim
mung selbst als auch bei der Einstellung vorgegebener Auf
nahmedaten erhebliche Fehler Vorkommen, die nicht selten
eine Größenordnung höher liegen als jene, die man mit Kom
pensationsplatten auszumerzen trachtet.
Die im photogrammetrischen Sinne gedeutete Verzeichnung
unterscheidet sich von der im geometrisch-optischen Sinne
definierten Verzeichnung dadurch, daß sie bezogen ist auf die
Brennweite eines parallelen Strahlenbündels, das unter einem
bestimmten Winkel zur optischen Achse des Systems einfällt.
Ist im besonderen Falle dieser Einfallswinkel Null, so stimmen
Verzeichnung im photogrammetrischen und optisch-geome
trischen Sinne überein.
Es ist bekanntlich üblich, die Verzeichnung im photogramme
trischen Sinne auf die Kammerkonstante zu beziehen. Nach
vorstehendem ist klar, daß die Kammerkonstante als Brenn
weite des Systems für einen bestimmten Einfallwinkel defi
niert werden könnte. Praktisch erscheint es jedoch, tatsächlich
von einer Kammerkonstanten zu sprechen und hierunter
jenen Faktor in einer Abbildungsgleichung zu verstehen, der
die optische Abbildung beschreibt, wobei man verlangt, daß
dieser Faktor der Abbildungsgleichung so bestimmt wird, daß
die auftretenden Differenzen zwischen mathematischer Pro
jektion und optischer Projektion vorgegebenen Bedingungen
entsprechen.
Bild 1 zeigt eine Anzahl von Verzeichnungskurven eines opti
schen Systems, die durch Änderung der Kammerkonstanten
wirksam werden können.
Für die Auswahl der durch Variation der Karnmerkonstanten
entstehenden Verzeichnungskurven sind bisher eine Reihe
abweichender Gesichtspunkte bekanntgeworden, wie sie in den
nachfolgenden Bildern dargestellt worden sind. Von einem
einheitlichen Vorgehen kann nicht gesprochen werden. Doch
darf man wohl annehmen, daß jede der bekannten Methoden
zum Ziele hat, die Auswirkung der Verzeichnung so weit als
irgend möglich herabzudrücken. Bild 2 zeigt die Abstimmung
der wirksamen Verzeichnung auf gleiche positive und negative
Maximalwerte.
Ein Ziel der Abstimmung wird zum Teil auch darin gesehen,
im genutzten Bildformat einen flächenmäßigen Ausgleich der
zwischen Verzeichnungskurve und Abszisse liegenden Flächen
herbeizuführen (Bild 3), wobei gegebenenfalls die Abszissen
teilung der zugehörigen Fläche des Meßbildes entsprechen
kann, und schließlich kann die Forderung aufgestellt werden,
daß die Verzeichnungskurve mit der Abszisse außer dem
O-Punkt noch einen Schnittpunkt aufweist, dessen Koordinate
vorgegeben wird (Bild 4).
Bei den heute bekannten Verzeichnungskurven der Hoch
leistungsobjektive spielt es kaum eine Rolle, welches der ange
deuteten Verfahren wirklich zur Anwendung kommt. Die Er
gebnisse für die Kammerkonstante unterscheiden sich in der
interessierenden Größenordnung praktisch nicht voneinander.
Trotzdem scheint die Frage sinnvoll, ob nicht ein Bestimmungs
verfahren für die Kammerkonstante gefunden werden kann,
das bereits von der Bedingung ausgeht, die Auswirkung der
Verzeichnung auf das Auswerteergebnis möglichst klein zu
halten. Hierzu bietet sich wohl vor allem die Untersuchung der
Auswirkung von Verzeichnungsfehlern auf die Modellverbie
gung an. Wenn auch hier von vornherein nicht angenommen
werden kann, daß sich die Kalibrierungsergebnisse wesentlich
ändern, so scheint doch dieser Weg der Bestimmung vor dem
bekannten zumindest den Vorteil zu haben, daß für ihn eine
exakte Begründung gegeben werden kann. Gleichwohl ist es
möglich, daß bei besonderer unregelmäßiger Gestalt der Ver
zeichnungskurve auch Differenzen für die Größe der Kammer
konstanten auftreten können, deren Berücksichtigung durch
aus einen Einfluß auf das Auswerteergebnis hat.
2. Ableitung der Karnmerkonstanten aus der Bedingung heraus,
die Modelldeformation im Gemeinsamkeitsgebiet zu einem
Minimum zu machen
2.1. Allgemeine Darlegung
Die auf die Bildebene reduzierte Verzeichnung macht sich
als rotationssymmetrischer Abbildungsfehler um den Bild
hauptpunkt bemerkbar. Bei der stereoskopischen Auswertung
in den Zweibildkartiergeräten entsteht ein Raumpunkt durch
Projektion zweier Bildpunkte aus benachbarten Meßbildern.
Sind beide Projektionsstrahlen durch Verzeichnung in ihrer
exakten Richtung verfälscht, so entsteht im allgemeinen Falle
überhaupt kein Raumpunkt, sondern die korrespondierenden
Projektionsstrahlen laufen im Raum windschief aneinander
vorbei. Die heute üblichen wirksamen Verzeichnungen sind
jedoch in der Regel so klein, daß bei der Auswertung trotzdem
noch ein ,,Raumpunkt“ wahrgenommen wird. Die Auswirkung
der Verzeichnung macht sich dann vornehmlich in einer
Bild 1. Verzeichnungskurven. Ar' = Verzeichnung, r' = Bild
höhe
Bilder 2, 3 und 4. Kalibrierung von Meßkammern. A r' — Ver
zeichnung, t' = Bildwinkel
Bild 5. Anordnung der Modellpunkte
Bild 6. Russar-Plasmat, 1 : 6,3, = 20 cm NW, Bildformat
18 cm X 18 cm. Fehlerhafte Horizontalparallaxen (in /im) durch
Objektivverzeichnung (reduziert auf Bildebene)
Bild 7. Aviotar, 1 : 4,2, = 21 cm NW, Bildformat 18 cmX
18 cm. Fehlerhafte Horizontalparallaxen (in /tm) durch Ob
jektiv-Verzeichnung (reduziert auf Bildebene)