wollen versuchen, für den Arbeitsbereich der Vermes
sungstechnik 1 ) und besonders der Photogrammetrie die
Grenzen zu bezeichnen, die nach dem heutigen Stand un
serer Kenntnis den Automaten gegenüber dem Menschen
gesteckt sind. Dabei können die Leistungsgrenzen des
Menschen für die uns interessierenden Funktionen als hin
reichend bekannt und konstant angenommen werden.
Der Mensch hat ja größenordnungsmäßig 10 5 Jahre Zeit
gehabt, sich an seine — zuerst natürliche und dann in
schnell wachsendem Maße immer künstlicher werdende —
Umwelt anzupassen. Die Grenzen der Automaten sind da
gegen im quantitativen un d qualitativen Sinne fließend;
unsere Aussagen können sich mit leidlicher Sicherheit nur
auf die heute bekannten Leistungen beziehen. Wir werden
billigerweise dem vergleichsweise „embryonalen“ Ent
wicklungsstand der Automaten einiges zugute halten
müssen.
Da wir in der Vermessungstechnik und in der Photo
grammetrie das betreiben, was man heute als Daten
gewinnung und Datenverarbeitung bezeichnet, so werden
uns besonders Automaten aus dem Gebiet der nachrich
tenverarbeitenden Systeme interessieren. Eine allgemein
befriedigende, genaue Definition eines Automaten
ist heute schwer zu geben. Zweifellos muß der Begriffs
umfang weit über denjenigen des allgemeinen Sprach
gebrauchs hinausgehen, der (lt. Brockhaus) eine „selbst
tätig arbeitende Vorrichtung“ meint, die „nach Auslösen
einer Hemmung bestimmte Tätigkeiten ausführt“ und
seine Beispiele einerseits noch in Spieluhren und Waren
automaten, andererseits schon in Werkzeugmaschinen
findet. Wir verzichten darauf, den Versuch einer schärfe
ren Definition an den Anfang zu stellen, da die später be
handelten Beispiele den Begriff „Automat“ hinreichend
umschreiben werden.
Wir wollen unser Thema in drei Schritten behandeln. Zu
erst stellen wir die Frage: Auf welche Eigenschaften und
Fähigkeiten kommt es in Vermessungstechnik und Photo-
grammetrie an ? Dann werden wir im einzelnen prüfen,
welche Leistungen und Grenzen für Mensch und Automat
für die gefundenen Funktionen heute -—und möglicher
weise morgen — bestehen. Schließlich werden wir fünf
Klassen von Automaten mit progressiv gesteigerten
Leistungen aufstellen, mit denen unsere Aufgaben gelöst
werden können, und deren Realisierung untersuchen.
1. Vergleichspunkte zwischen Mensch und Automat
Wenn wir die Aufgaben und Tätigkeiten des Geodäten
und Photogrammeters analysieren, ist es nicht schwer,
diejenigen Gruppen von Eigenschaften und Fähigkeiten
herauszufinden, hinsichtlich welcher Menschen und Auto
maten miteinander konkurrieren müssen. Wir gehen da
von aus, daß die Grundtätigkeit dasMessen ist, und zwar
in der modernen Vermessungstechnik das Messen mit op
tischen Hilfsmitteln. Neben anderen beim Messen be
teiligten Sinneswahrnehmungen kommt es also haupt
sächlich auf die optischen Wahrnehmungen an. Die
Beurteilung der Fähigkeit zu optischen Wahrnehmungen
‘) Unsere Überlegungen gelten grundsätzlich auch für die allge
meine Vermessungstechnik. Wegen der — im Gegensatz zur
Photogrammetrie -—• geringen Informationsdichte bei „klassi
schen“ geodätischen Messungen ist dort oft eine Automation aus
wirtschaftlichen Gründen nicht zweckmäßig.
bei Mensch und Automat wird sich auf deren Umfang,
Feinheit, Genauigkeit und Zuverlässigkeit, auf Schnellig
keit und Ausdauer erstrecken. Eine häufig vor kommende
Operation ist das Beurteilen oder Herbeiführen der Ko
inzidenz zweier Striche. Es wird meist übersehn, daß eine
mindestens gleich wichtige Fähigkeit das Erkennen von
Gestalten ist, wie z. B. das Lesen von Zahlen auf einem
Maßstab oder das Identifizieren topographischer Gegen
stände im Luftbild. Besondere Probleme bietet für einen
Automaten das stereoskopische Sehen.
Schon für das Zustandekommen, mehr noch für die Ver
arbeitung der optischen Wahrnehmungen braucht das
biologische oder technische System ein Gedächtnis.
Dieses muß die Wahrnehmungen für kürzere oder längere
Zeit möglichst vollständig und unverändert speichern und
bei Bedarf schnell reproduzieren. Quantitative Bewer
tungen liefern: die Kapazität des Gedächtnisses, die
Schnelligkeit der Speicherung und der Herausgabe der
gespeicherten Daten sowie der benötigte Aufwand (Raum
bedarf, Gewicht) für die Speichermittel.
Jede Verarbeitung der Wahrnehmungen, ihre Verknüp
fung miteinander, ihr Vergleich mit gespeicherten Daten,
ihre rechnerische Auswertung erfordern eine große Zahl
von logischen Entscheidungen. Ob man das Ver
mögen hierzu als Denken bezeichnen will, ist eine Frage
des Sprachgebrauches. Wenn jemand z. B. rechnete:
19 X 12 = (20 x 12) — 12 — 240 — 12 = 228, so sagte
man früher, er habe „gedacht“. Heute ist man nicht ge
neigt, einem programmgesteuerten Rechenautomaten, der
z. B. ein umfangreiches System linearer Gleichungen selb
ständig auflöst, dieses Prädikat zuzuerkennen. Ein Kyber
netiker stellte kürzlich boshaft fest, man habe offenbar
für den Begriff „Denken“ eine gleitende Definition ein
geführt, die jeweils den Bereich bezeichne, der gerade
für Automaten nicht erreichbar sei. Der Begriff werde da
durch immer anspruchsvoller und bezeichne Leistungen,
die ein normaler Alltagsmensch gar nicht mehr zu erfüllen
vermöge.
Wir stellen ferner fest, daß die Fähigkeit, durch Erfah
rung zu lernen, auch in der Vermessungstechnik von
Nutzen ist. Wir nehmen diese daher in unsere Liste auf.
Dazu bemerken wir gleich, daß eine befriedigende, allge
mein gültige Definition des Begriffes „Lernen“ schwer zu
geben ist. Wir kommen darauf noch zurück.
Als letzte und wohl schwierigste Fähigkeit finden wir bei
unserer Analyse das Abstraktionsvermögen, d. h.
die Fähigkeit, Nebensächliches und Zufälliges zugunsten
eines Allgemeingültigen zu unterdrücken, somit die Zu
gehörigkeit eines Gegenstandes zu einer Klasse von
Gegenständen zu erkennen, mit anderen Worten: festzu
stellen, daß ein Gegenstand die Merkmale eines bestimm
ten Begriffes erfüllt. Als Beispiel nennen wir das Erkennen
einer Brücke im Luftbild.
Wir fassen zusammen. Um die Leistungen von Menschen
und Automaten im Bereich der Vermessungstechnik und
Photogrammetrie miteinander zu vergleichen, wollen wir
die folgenden fünf Fähigkeiten als Vergleichspunkte un
tersuchen: 1) die Fähigkeit zu optischen Wahrneh
mungen verschiedener Art einschließlich der Gestalt
wahrnehmung und der stereoskopischen Wahrnehmung,
2) kurz- und langfristige Gedächtnisleistungen,
3) die Fähigkeit, logische Entscheidungen zu treffen,