Full text: Commissions V, VI and VII (Part 6)

„Photographie 
WISSENSCHAFT 
SONDERDRUCK 
BESONDERHEITEN DER RÖNTGENSTEREOSKOPIE 
Von H. KÖHNLE 
Rontgenabteilung der 1. medizinischen Klinik 
der Medizinischen Akademie Diisseldorf 
(Direktor: Prof. Dr. Grosse-Brockboff) 
DK: 778.33:778.46 
Zur Betrachtung der Anaglypbenbilder dieses Beitrags bitte die beiliegende Anaglyphenbrille 
benutzen. 
Wenn ein Arzt sagen würde: ,Sie erblinden auf einem Auge“, so wäre das wohl für 
jeden Menschen ein erschütterndes Schicksal. Und selbst die Versicherung, dafí man sich 
als Eináugiger unauffàllig durch's Leben helfen kann, wáre wohl kein hinreichender 
Trost. 
Dabei gibt es nur wenige Menschen, die das Sehvermógen auf beiden Augen gleichmáflig 
nutzen; weitaus die meisten verlassen sich — ähnlich wie Rechts- oder Linkshänder — 
vorwiegend auf die einseitige Leistung und verwenden unbewufit die andere nur als 
Hilfe bzw. als Reserve. 
Davon kann man sich bei Betrachtung der Abb. 1 auf der eingehefteten Bildtafel (Seite 
21) mit Hilfe der diesem Heft beiliegenden Rot-Grün-Brille leicht überzeugen. Nur wenige 
Menschen, deren Augen gleichmäßig geschult sind, werden hier das Bild eines „ruhigen“ 
Mädchens erblicken. Die meisten werden den Eindruck haben, daß der Kopf sich 
schwebend gegenüber dem Körper verschiebt. Dabei ist das Bild doch fest, wie man ohne 
Brille deutlich sehen kann. 
Woher kommt diese Bewegung? Das linke Auge sieht durch das rote Filter nur die grüne 
Kontur des Körpers, das rechte Auge durch das grüne Filter nur den rot gezeichneten 
Kopf. Die Unsicherheit, die der Betrachter empfindet, liegt also nicht in der Zeichnung, 
sondern allein in der ungleichmäßigen Funktion der Augenmuskelpaare. Die beiden 
Augen arbeiten also nicht immer fehlerlos zusammen! 
Solche Mängel kommen aber nicht zum Bewußtsein bei der Betrachtung der Umwelt. 
Abb.2 (Seite 21) zeigt eine Aufnahme aus den Ruinen von Korinth. Sicherlich 
zweifelt niemand daran, dafi die Felsblócke im Vordergrund wirklich vorn liegen und 
dafs die Tempelsiulen am Horizont stehen. Jeder Eináugige sieht das richtig; denn er 
weiß seit seiner Kindheit aus Erfahrung, daß nähergelegene Gegenstände fernergelegene 
verdecken und daß Säulen, die doch ein Vielfaches der Menschengröße darstellen, in 
weiter Ferne liegen müssen, wenn sie so klein erscheinen wie hier im Bild. 
Das Auge ist mit der „verständigen“ Erfahrung eine glückliche Ehe eingegangen: Was 
das Auge nicht sicher entscheiden kann, ergänzt der Verstand aus der jahrzehntelangen 
Erfahrung. Dabei helfen Licht und Schatten, Farbe und Dunst der Ferne den plastischen 
Eindruck zu vollenden. Die räumliche Wahrnehmung scheint also etwas Zuverlässiges 
Zu sein, 
Machen wir aber eine Probe aufs Exempel, indem wir nur die Konturen der Gegen- 
stände in Abb. 2 zeichnen, und zwar diejenigen, die das linke Auge sieht in grün, die- 
jenigen, die das rechte Auge erblickt, in rot (Abb. 3). Bei Betrachtung dieser zweifarbigen 
Skizze mit der Rot-Grün-Brille sieht das linke Auge durch das rote Filter nur die 
grünen Konturen und umgekehrt das rechte Auge durch das grüne Filter nur die roten 
Photographie und Wissenschaft - Heft 2 - Jahrgang 9 - 1960 19 
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