Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 2. Band)

   
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I. Abschnitt. 1. Der Assimilationsprozess. 5 
für SAUSSURE bildete sie das wichtigste Hülfsmittel zur Erforschung der Erscheinungen 
und ihrer Ursachen. SAUSSURE constatirte, dass Pflanzen, deren Wurzeln sich im 
Wasser entwickelten, deren oberirdische, grüne Organe sich aber mit der Luft 
in Contact befanden, eine Bereicherung an Trockensubstanz resp. Kohlenstoff 
erfuhren. Nach Saussure ist die Kohlensäure der Atmosphäre als wichtigste 
Kohlenstoffquelle für die Vegetation anzusehen, und jenes Gas wird neben dem 
Wasser in den grünen Pflanzenzellen unter dem Einflusse des Lichtes zur Bildung 
organischer Substanzen verwendet. Unglücklicherweise hat der berühmte Genfer 
Gelehrte einige Experimente angestellt, deren Resultate ihn zu der Ansicht 
führten, dass ein gewisser, wenngleich geringer Theil der organischen Substanzen 
des Pflanzenleibes aus organischen (humosen) Körpern, welche die Pflanzen mit 
Hülfe ihrer Wurzeln aufgenommen haben, entstehen könnte. Es ist zu bedauern, 
dass gerade auf das Ergebniss dieser Experimente SAUSSURE's von verschiedenen 
Männern, die sich mit den Fragen nach den Ernährungsvorgängen der Pflanzen 
beschäftigten, ein so übergrosses Gewicht gelegt wurde. In Folge dessen geriethen 
die Beobachtungsresultate von INGENHOUSZ, SENNEBIER soWie von SAUSSURE über 
die Kohlensäurezersetzung seitens der grünen Pflanzenzellen mehr und mehr in 
Vergessenheit. Dafür bildete sich aber die Humustheorie aus, ein Umstand, der 
von den nachtheiligsten Folgen für die Weiterentwicklung unserer Wissenschaft 
geworden ist. 
'TuüaERÍ) stellte den Satz auf, indem er sich zumal auf die SAUSSURE'schen 
Beobachtungen sowie auf gewisse Erfahrungen der Praktiker berief, dass der Humus 
des Bodens neben dem Wasser als Hauptnahrungsmittel der Pflanzen angesehen 
werden müsse. Er legte der Kohlensäure der Luft keine Bedeutung als Kohlen- 
stoffquelle für die Vegetation bei, und ganz Aehnliches geschah während der 
ersten Decennien unseres Jahrhunderts selbst von Seiten der Botaniker in mehr 
oder minder ausgeprägter Weise.?) Es liegt auf der Hand, dass die Pflanzen- 
physiologie zu einer Zeit, in der man nicht einmal tiber die wichtigsten Pro- 
zesse, die im vegetabilischen Organismus zur Geltung kommen, gehôrig unter- 
richtet war, keine grossen Fortschritte machen konnte. Dazu kommt noch, dass 
die Annahme von der Existenz der Lebenskraft in jener Zeit eine grosse Rolle 
in der Physiologie spielte und sich echter Forschung hindernd in den Weg stellte. 
Erst im Jahre 1840, als LiEBIG die erste Auflage seines berühmten Werkes: 
»Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie« herausgab, 
wurde Klarheit in die auf dem Gebiete der Ernáührungsphysiologie herrschende 
Verwirrung gebracht. Für uns ist dies hier vor allen Dingen von Bedeutung, 
dass LiEkBIG mit aller Entschiedenheit die Ansicht vertritt, wonach nicht der 
Humus, sondern die Kohlensäure der Atmosphäre als wichtigste Kohlenstoffquelle 
für die Vegetation anzusehen ist. Der Humus ist, so hebt LirBIG besonders her- 
vor, doch unzweifelhaft als ein Zersetzungsprodukt vegetabilischer Massen anzu- 
sehen. Er konnte sich erst bilden, als die ersten Pflanzen sich entwickelt hatten. 
Woher sollen nun diese Gewáüchse ihren Kohlenstoff genommen haben??) Ueber- 
dies betont LrEBIG, dass die im Boden vorhandenen humosen Stoffe im Allge- 
1) Vergl. THAER, Grundsütze d. rationellen Landwirthschaft. 1809. 
?) Man vergl. z. B. TREVIRANUs (Physiologie d. Gewüchse, 1835— 1838) und MEYEN (Neues 
System der Pflanzenphysiologie. 1837— 1839). 
3) Dieser Ausführung stehen übrigens einige Bedenken gegenüber, auf die ich jedoch nicht 
näher eingehen will, 
    
   
   
  
  
  
  
   
   
   
   
   
   
   
  
  
  
  
   
   
  
   
   
   
   
  
  
   
  
  
    
  
   
   
   
   
  
  
   
   
    
  
  
  
  
   
   
  
  
  
  
   
	        
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