Ein fachmännisches Urtheil
über die bisher erschienenen Lieferungen
von
SCHENK?
HANDBUCH DER BOTANIK.
Prof Dr. Julius Wiesner in Wien bespricht »Schenk's Handbuch der
Botanik« in der Zeitschrift für ôsterreichisches Gymnasialwesen. 1881. Heft 12,
folgendermassen:
Kaum auf einem anderen Gebiete der Wissenschaft hat sich ein so jüher Uebergang vom
Dogmatismus zur kritischen Richtung vollzogen, als auf dem der Botanik. Wol sind seit dieser
merkwürdigen Wandlung vier Decennien vorübergegangen, aber noch immer wirkt jenes Ereigniss
in der Literatur unserer Tage nach. Schleiden's von Kant'schem Geiste durchwehte Grundzüge
der wissenschaftlichen Botanik bezeichnen auf das Schirfste den Wendepunkt beider Richtungen.
Hatte man bis zur Ausgabe des genannten epochemachenden Werkes — mit sehr vereinzelten
Ausnahmen — in selbstgefälliger Gedankenlosigkeit geglaubt, bis auf die Beschreibung neuent-
deckter Pflanzenarten die Hauptarbeit auf botanischem Gebiete bereits geleistet zu haben, so ge-
langte man nach dem Erscheinen jenes merkwürdigen Buches plótzlich zur Erkenntniss des naiven
Standpunktes, den man in der scientia amabilis so lange eingenommen hatte. Die günstige
Wirkung des Schleiden’schen Werkes blieb nicht aus. Wer Schaffensdrang in sich fühlte,
botanische Fragen zu lösen, fing nun im Kleinen, aber gründlich und tüchtig, wie es der damals
herrschende Meister lehrte, zu forschen an. Die Resultate, zumeist noch dürftig aber wohlbe-
gründet, regten zahlreiche strebsame Jünger zu neuen Untersuchungen an. Die Details häuften
sich. Gutes haltbares Baumaterial war herbeigeschaft; aber überwältigt von der Masse stehen
die Meister da, schüchtern erwägend, ob es auch schon an der Zeit sei, die Steine zu einem
einheitlichen Ganzen zu gestalten. Nach und nach ringen sich aus dem Chaos der Monographien
und kleineren Detailforschungen zusammenfassende Arbeiten über einzelne Zweige der Botanik
in tüchtiger Durcharbeitung empor. Aber an eine einheitliche umfassende Bearbeitung des ganzen
Gebietes wagt sich heute noch Niemand heran.
Nachdem die einst so blühende botanische Handbuchliteratur aus den hier kurz angeführten
Gründen versank, das Bedürfniss nach einem kritisch gehaltenen Sammelwerke aber immer dringender
wurde, versuchte endlich Hofmeister (1865) durch eine Association zu erzielen, was für den
Einzelnen undurchführbar schien. Er entwarf den Plan eines Handbuches der allgemeinen Botanik,
welcher von ihm in Gemeinschaft mit Pringsheim, Irmisch, De Bary und Sachs zur Aus-
führung gebracht werden sollte. Das geplante Werk sollte das Gesammtgebiet der botanischen
Morphologie und Physiologie umschliessen. Man durfte von diesem Buche das Beste erwarten,
da Herausgeber und Mitarbeiter durchwegs Botaniker ersten Ranges waren. Das Werk wurde
ausgegeben und gelangte später auch zu einem gewissen Abschluss. Es brachte eine treffliche
Physiologie von Sachs, eine höchst werthvolle Anatomie von De Bary, Bruchstücke einer
gross angelegten Morphologie von Hofmeister, endlich eine morphologische und physiologische
Bearbeitung der Pilze (inclusive Flechten und Myxomyceten). Trotz der Fülle des neuen zu Tage
geförderten Materiales ist es, als Handbuch betrachtet, ein Torso: die Lehre von der Sprossfolge,
von der Befruchtung und vieles andere ist darin nicht enthalten.