Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 2. Band)

   
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4. Das Ernährungssystem. 693 
Von STAHL wurde die interessante Beobachtung gemacht, dass bei manchen 
Bäumen die Lenticellen zur Zeit der Vegetationsruhe, d. i. vom Herbste bis zum 
Frühjahr geschlossen und für Gase undurchlässig sind. Der Verschluss erfolgt 
dadurch, dass schon vor der Zeit des Laubfalles die Verjüngungsschicht anstatt 
gewöhnlicher Füllzellen normale, interstitienlose Korkzellen bildet, welche zusammen 
eine mehr oder minder dicke Verschlussschicht darstellen. Im Frühjahr wird 
wieder Füllgewebe gebildet und die Verschlussschicht so wie anfänglich die 
Epidermis gesprengt. Nach von mir angestellten Versuchen tritt der Zeitpunkt, 
in welchem sich die Lenticellen soweit öffnen, dass sichtbare Luftblasen aus 
denselben hervortreten, ziemlich spät ein, in der Regel erst nach vollendeter 
Belaubung der Zweige und nur in seltenen Fällen vor der Blüthezeit des be- 
treffenden Baumes. 
Bezüglich der Vertheilung der Lenticellen ist hier zu erwähnen, dass dieselben 
an vertical stehenden Zweigen ringsum ziemlich gleichmässig vertheilt sind, an 
horizontal stehenden dagegen auf der Unterseite viel reichlicher auftreten als auf 
der Oberseite. Doch gleicht sich mit zunehmendem Alter der Aeste diese un- 
gleiche Vertheilung allmählich aus. Besonders auffallend sind in dieser Hinsicht 
Gleditschienzweige (G7. /riacanthos) von welchen z. B. ein 1jähriges 20 Centim. 
langes Zweigstück auf der Oberseite 73, auf der Unterseite 210 Lenticellen auf- 
wies. Näheres hierüber enthält meine oben citirte Abhandlung. Dass wir in 
dem Vorwiegen dieser Organe an der Zweigunterseite eine Erscheinung vor uns 
haben, welche analog ist dem Vorwiegen der Spaltöffnungen an der Blattunter- 
seite, dies kann wohl bei der Gleichartigkeit der physiologischen Function dieser 
Organe nicht bezweifelt werden. 
C. Die Entwickelungsgeschichte des Durchlüftungssystems. 
Was für die Gewebesysteme gilt, hat auch für die Intercellularriume Geltung: 
Ihre Entwickelungsgeschichte kann eine sehr verschiedenartige sein. Die meisten 
Durchlüftungsráume entstehen schizogen, d. h. durch einfaches Auseinander- 
weichen der Zellen unter Spaltung der ursprünglich gemeinsamen Wände. Um 
unter vielen nur ein sehr schönes Beispiel zu erwähnen, so verweise ich auf die 
Luftgänge im Schafte von Fapyrus antiquorum. In anderen Fällen entstehen die 
Durchlüftungsráume lysigen, d. h. durch Desorganisation, durch Collabiren und 
Zerreissen vergánglicher Zellen und Zellgruppen. Ein hierher gehóriges, gleich- 
falls ausgezeichnetes Beispiel sind die Luftgünge im Halme von /wacus glaucus. 
Im Einzelnen zeigt sich nun in der Entstehung der schizogenen und lysigenen 
Durchlüftungsráume eine überaus grosse Mannigfaltigkeit. 
Die Zellen des gesammten Spaltóffnungsapparates sind theils protodermalen 
theils grundparenchymatischen Ursprungs. Die Schliesszellen gehen zwar stets 
aus einer Protodermzelle hervor, doch sind sie desshalb nicht immer gleich- 
werthige Schwesterzellen; wie ich gezeigt habe,!) stehen die beiden Schliesszellen 
von Mercurialis perennis und verschiedenen Crassulaceen zu einander in demselben 
Verhiltnisse, wie eine Scheitelzelle zu ihrem jüngsten Segment (Fig. 26 E). Sie 
hefern so den Beweis, dass selbst dann, wenn der ganze Apparat bloss aus zwei 
Zellen besteht, dié entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieser beiden anatomisch 
und physiologisch gleichwerthigen Zellen eine verschiedene sein kónne. 
  
1) Ueber Scheitelzellwachsthum bei den Phanerogamen, Mittheilungen des naturw. Vereins 
für Steiermark, 1880. 
       
   
  
  
  
  
  
   
    
      
   
    
    
  
    
  
  
  
  
  
    
   
   
  
  
  
  
  
  
   
   
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
   
  
   
  
  
   
  
   
  
   
  
   
  
  
      
     
	        
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