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A. Allgemeiner Theil. 103
Organe beruhende Morphologie kaum über die schon vor LINNÉ errungene Stufe
hinausging. Entwicklungsgeschichtlicher Voraussetzungen konnte man sich eben
so wenig enthalten, wie später die vergleichende Morphologie, allein sie gingen
über die Spekulation nicht hinaus, und diese war Z. B. in der LinnE’schen Pro-
lepsistheorie!) unglücklich genug. Dieselbe soll hier mit einigen Worten berührt
werden, schon der Behauptung halber, die öfters aufgestellt wurde, dass sie der
GoETHE’schen Metamorphosenlehre analog sei. Wir sehen dabei ganz ab von
der LixNNE'schen auf CAESALPINI'schen Anschauungen ber uhenden Metamorphosen-
lehre, wonach die Rinde des Stammes sich in den Kelch, der Bast in die
Corolle, das Holz in die Staubfäden, das Mark in das Pistill verwandeln soll
und fassen nur die Prolepsistheorie selbst ins Auge. — Es ist eine bekannte
Thatsache, dass der Kelch mancher abnormer Bliithen die Form von Stengel-
blättern annimmt, auch Blumenkrone und Staubfäden sind wie die Analogie der
Blüthen mit Knospen schliessen lässt, Blätter, und ebenso ist-der Fruchtknoten
aus solchen zusammengesetzt, wie gefüllte Blumen vermuthen lassen. »Die
Blüthe ist nun nach LINNE's Prolepsistheorie nichts, als das gleichzeitige Er-
scheinen von Blättern, die eigentlich den Knospenbildungen von sechs aufein-
anderfolgenden Jahren angehóren, so zwar, dass die Blätter der fürs zweite Jahr
der Pflanze zur Entwicklung bestimmten Knospe zu Brakteen, die Blätter des
dritten Jahres zum Kelch, die des vierten zur Corolle, die des fünften zu Staub-
füden, die des sechsten Jahres zum Pistill werden (WIGAND a. a. O. pag. 29).
Es würde uns zu weit führen, auf die Hülfshypothesen, welche nóthig sind, um
diese Vorstellung den Thatsachen einigermaassen anzupassen, einzugehen, nur
so viel sei betont, dass sie vollständig auf dem Boden der Einschachtelungslehre
steht, und gerade das Bedürfniss, diese mit der Wahrnehmung zu vereinigen,
dass ein Baum, der bei reichlicher Nahrung nur Blätter und Zweige trieb, in
ein enges Gefäss eingesetzt, nun sofort zur Blüthe gelangte, scheint mir der Aus-
gangspunkt der Prolepsistheorie zu sein. Denn die Evolutionstheorie kann
natürlich nur eine Einwirkung auf schon vorhandene Anlagen, nicht eine Ver-
anlassung zur Neubildung von Organen in den oben erwähnten Fall annehmen.?)
Auf der Evolutionstheorie beruht auch der Satz, der Same stelle die ganze
Pflanze zusammengedrängt dar. Wir können somit in der Prolepsistheorie nicht
den mindesten Fortschritt, sondern nur einen wunderlichen Auswuchs der Evolu-
tionstheorie erkennen. Was uns an derselben am meisten wundert, ist nicht
ihre Künstlichkeit und innere Unklarheit, sondern die Thatsache, dass eine
Verfolgung der Blüthenbildung einer Gartenbohne, wie WOLFF sie unternommen
hat, genügt hätte, die Unnatürlichkeit der ganzen Anschauung darzuthun. Es
sind aber von jeher nicht falsch beobachtete Thatsachen gewesen, die den Fort-
schritt aufgehalten haben, sondern theoretische Vorstellungen.
8 2. Die Metamorphosenlehre. Wir haben vorhin den Namen Metamor-
1) Eine ausführliche Darstellung derselben findet sich in WiGAND's oben genannter Ab-
handlung.
?) Was die Terminologie betrifft, so sagt schon MALIPIGHI (a. a. O. pag. 41) »eadem calycis
natura quasi geminis contexta foliolis observatur in silarea et horminios, von den Blumenblättern
sagt er (pag. 42) »supra calycem a dilatata caule vel petiolo erumpunt floris praecipua ornamenta,
Jolía scilicet.« | Er kennt auch die Mittelbildungen zwischen Staubfäden und Blumenblättern bei
gefüllten Rosen »/requenter prope staminum petiolos fit mixtura staminis et jolii (pag. 46). Es ist
klar, dass die Bezeichnung des Kelches und der Blumenblitter auf der äusseren Aehnlichkeit
beruht, welche sie mit den Blättern, zu denen M. auch die Schuppen zàáhlt, haben.