Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 3. Band, 1. Hälfte)

216 Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Pflanzenorgane. 
noch die eigenthümliche schneckenförmige Einrollung jeder ihrer beiden Hälften 
zu erwähnen ist. 
Besonderes Interesse unter den Coniferenblättern bieten die eigenthümlichen »Doppelnadelne 
von Sciadopitys,*) Sie stehen in den Achseln kleiner Schuppen am Stamme, nehmen also die- 
selbe Stellung ein, wie die Kurztriebe von Pinus. Auf die Thatsache gestützt, dass die Nadeln 
von zwei vollkommen von einander getrennten Gefüssbündeln durchzogen sind, welche von dem 
für die Coniferenblätter eigenthümlichen »Transfusionsgewebe« umschlossen sind, sprach Mour 
die Ansicht aus, es seien diese Nadeln aus der Verwachsung der beiden ersten Blitter eines im 
Uebrigen verkümmernden Achselsprosses der Schuppe entstanden. Die von STRASBURGER mitge- 
theilte Entwicklungsgeschichte dieser Gebilde ist sehr eigenthümlich, bedarf aber, wie ich glaube, 
noch erneuter, namentlich histiologischer Prüfung. Es entsteht in der Achscl der Schuppen eine 
Achselknospenanlage, welche früh schon einen deutlichen medianen Einschnitt am Scheitelzeigt, 
der auch an der fertigen »Doppelnadel« noch erkennbar ist. Nach STRASBURGER's Darstellung 
ist dieses ganze Gebilde als Anlage der Doppelnadel zu betrachten: es wüchst, nachdem das 
Scheitelwachsthum frühe aufgehört hat, wie andere Nadeln an seiner Basis. Es ginge also der 
Scheitel des Achselsprosses hier in die Bildung der Nadeln auf, die letzteren aber wachsen nicht 
gesondert, sondern durch interkalares Wachsthum ihrer gemeinsamen Basis. Kein Zweifel, dass 
das Gebilde einer Kurztriebanlage von Pinus entspricht, an der nur zwei Blattanlagen angelegt 
werden. Allein die Deutung der Doppelnadel als aus zwei verwachsenen »Blättern« gebildet, 
erscheint mir keineswegs zweifellos, obwohl STRASBURGER auch bei Pinus sylvestris und P. Pu- 
milio Doppelnadeln gefunden hat. Wir kennen deren Zustandekommen nicht, sie können recht 
gut durch wirkliche Verwachsung zweier Nadeln, wobei aber der Vegetationspunkt des 
Kurztriebes an der Basis zurückbleibt, die Nadeln mit einer zugewendeten Seitenkante 
verschmelzen, entstanden sein. Bei Sciadopitys geht aber der Haupttheil der Nadel aus dem unter- 
halb des Vegetationspunktes der Achselknospe befindlichen Theile der letzteren selbst hervor. 
Dies ist ein in der vegetativen Region sonst ohne Beispiel dastehender Fall, und nach der ge- 
wöhnlichen Terminologie haben wir also die Doppelnadel von Scadopitys vielmehr als einen blatt- 
dhnlichen Zweig, ein Cladodium, aufzufassen, das an seiner Anlage die Spitzen zweier Nadeln 
als kleine Spitzen trügt, trotz der anatomischen Thatsachen, welche insofern nicht sehr schwer 
ins Gewicht fallen, als wir Cladodien, die in ihrem Baue mit den Blättern übereinstimmen, auch 
sonst kennen. An der Bezeichnung liegt aber im Grunde nicht viel, denn Thatsache bleibt in 
beiden Fällen, dass aus dem Achselspross ein Gebilde hervorgeht, dass in seinem B 
aue über- 
einstimmt mit zwei an einer Seitenkante miteinander vereinigten Blättern, 
Von den Gnetaceen seien hier noch die eigenthümlichen Blätter von We/- 
witschia mirabilis erwihnt. Die erwachsene Pflanze besitzt überhaupt nur zwei 
Laubblätter. Es sind dies die ersten auf die Kotyledonen folgenden und mit 
ihnen gekreuzten, sie werden aber sehr lang, indem sie an ihrer Basis ständig 
nachwachsen. 
Die Blätter der Cycadeen, welche in einigen Beziehungen (z. B. Fiederung, 
eingerollte Knospenlage der Fiederblättchen) mit denen der Farne übereinstimmen, 
entwickeln sich anders als die Farnblätter. Während diese durch ihr dauerndes 
Spitzenwachsthum ausgezeichnet sind, und demgemäss auch die Fiederblättchen 
(wo solche vorhanden sind, manche Farnblätter sind bekanntlich ungegliedert, 
andere wie es scheint dichotom verzweigt) in streng akropetaler Reihenfolge auf- 
treten, ist dies bei den untersuchten Cycadeen?) nicht der Fall, vielmehr stimmen 
dieselben mit der Blattentwicklung der Angiospermen überein. Die erste An- 
lage der Blätter erfolgt wie bei den letzteren unter der Epidermis, die Fieder- 
blättchen aber entstehen bei Ceratozamia in basipetaler Richtung, bei Cycas, wie 
  
1) MoHL, Morphol. Betrachtungen des Blattes von Sciadopitys, Botan. Zeit. 1871, pag. 101; 
STRASBURGER, Die Coniferen und die Gnetaceen. pag. 382 ff. 
?) WARMING, récherches et remarques sur les Cycadées, pag. 7 d. Sep.-Abdr. 
     
   
    
    
    
  
     
    
  
    
   
    
    
   
  
  
  
   
   
   
  
  
    
    
    
  
  
  
  
   
   
    
    
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