Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 3. Band, 1. Hälfte)

Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Pflanzenorgane. 
bildet. Der Blattgrund ist aber anfangs sehr klein und gewinnt, wie erwähnt, 
erst durch interkalares Wachsthum seine Ausbildung zur Blattscheide. Von der- 
selben scharf abgesetzt erscheint er erst nach dem Auftreten der Ligula, jenes 
hyalinen, hier mehrschichtigen Häutchens, das an der Grenze von Blattspreite 
und Blattscheide bei den Gräsern inserirt ist und wie mir scheint, wenigstens bei 
Glyceria eine Wucherung der Epidermis darstellt. Dass die eben geschilderte 
Blattentwicklung nicht so aufgefasst werden kann, wie TRÉCUL wollte, dass näm- 
lich zuerst die Blattscheide sich bilde, ist klar. Die Blattanlage besitzt vielmehr 
anfangs weder Spreiten- noch Scheidentheil, der erstere wüchst nicht aus dem 
letzteren hervor, sondern beide differenziren sich erst im weiteren Verlaufe der 
Entwicklung. Was die Blattscheide betrifft, die später eine Röhre darstellt, so 
mag hier noch darauf hingewiesen sein, dass dieselbe nicht etwa als durch Ver- 
wachsung der Ränder einer ursprünglich offenen Scheideanlage zu Stande ge- 
kommen zu denken ist, wie dies conform früheren Anschauungen auch SCHLEIDEN, 
der derartigen »Fiktionen« sonst so abhold war, wollte.) Vielmehr kommt die 
geschlossene Blattscheide dadurch zu Stande, das das Achsengewebe in Form 
eines Ringwalles sich über die Oberflche des Vegetationspunktes erhebt, und 
dieser Ringwall dann spáüter zu der Blattscheidenróhre auswüchst, wührend bei 
Grüsern mit »offener« Blaitscheide das Wachsthum der letzteren ein ähnliches 
ist wie das der Lamina von G/yceria, nur dass die Scheide später sich nicht aus- 
breitet, sondern dem Internodium dicht anliegt. 
Aehnliche Blattformen (wobei nur die Blattscheide nicht ganz übereinstimmt) 
wie die Grüser, besitzen eine ganze Anzahl anderer Monokotylen, und wir dürfen 
annehmen, dass denselben auch eine, mit der geschilderten übereinstimmende 
Blattentwicklung zukommt. 
Auch Monokotylenblátter, die im fertigen Zustand von denen der Gräser 
oder Liliaceen auffallend abweichen, wie z. B. die der Allium-Arten, kommen 
durch relativ geringfügige Modificationen des oben geschilderten Entwicklungs- 
ganges zu Stande. Vor Allem ist hervorzuheben, dass die Höhlungen, welche 
sich im Innern der Blätter mancher AZum-Arten (z. B. Alium fistulosum) finden, 
sekundärer Natur sind, erst später durch Vertrocknen und Auseinanderzerren des 
inneren: Gewebes der Lamina entstehen (also »rhexigene« Hohlräume darstellen), 
ganz auf dieselbe Weise also, wie die centralen Hohlräume in manchen Stengeln, 
z. B. denen der Umbelliferen. Das Blatt von Allium Schoenoprasum wird, wie 
das der Grüser als ein den Vegetationspunkt früh umfassender Ringwall ange- 
legt, dessen basaler Theil sich dann später zu der (unten) geschlossenen Blatt- 
scheide gestaltet. Das Oberblatt aber erfährt schon früh ein im Querschnitt all- 
seitig annähernd gleichmässiges Wachsthum und gewinnt so annähernd kegel- 
förmige Gestalt. B in Fig. 42 zeigt ein weiter vorgeschrittenes Stadium. Hier 
hat sich die kegelfórmige Blattlamina aufgerichtet, und die Blattscheide umfasst den 
Vegetationspunkt mit den nächst jüngeren Blattanlagen. Sie ist aber nur an einer 
kleinen Stelle offen, und dies ist die einzige Communikation des Vegetations- 
punktes mit der Atmospháre, resp. mit den ebenfalls nach aussen geóffneten 
Zwischenráumen zwischen den andern, älteren Blättern. Wie die Form des Blattes 
in B aus den in A zu Stande kommt, ist ohne weitere Beschreibung leicht er- 
sichtlich, ebenso, dass die Blattlamina oben geschlossen sein muss. Andere 
Allium-Arten haben an Stelle der rundlichen Scheidenöffnung einen Längsspalt. 
1) Grundzüge II. pag. 185. 
     
    
       
     
   
    
     
  
  
   
    
    
  
  
  
   
   
    
   
    
   
    
  
    
   
     
  
  
  
   
     
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