Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 3. Band, 2. Hälfte)

Die systematische und geographische Anordnung der Phanerogamen. 
Die gleichmässige Vertheilung der alten Flora (welche noch einheitlich für 
die ganze Erde als devonisch, permisch, triasisch etc. zu bezeichnen ist, nicht 
wie jetzt als neu-europäisch, neu-indisch, neu-australisch etc.) so, wie wir sie beob- 
achten, lässt noch einen anderen nothwendigen Rückschluss zu, den nämlich, 
dass der Wanderungsfähigkeit derjenigen Arten (resp. Gattungen), welche an so 
entlegenen Stellen der Erde auftraten, keine Schranken durch unübersteigliche 
Continentalsperren oder weite Oceane gesetzt waren. Eine beispielsweise im 
Herzen Sibiriens entstandene Art musste allmühlich von dort bis Ost-Australien 
oder Süd-Afrika wandern kónnen, wobei der leichten Verbreitung der allerdings 
damals noch überwiegenden Sporenpflanzen die Tragkraft der Winde für die 
leichten Sporen zu Hülfe kommen musste. 
Es ist dabei das Dogma, dass dieselbe an den verschiedensten Punkten der Erde 
aufge- 
fundene Pflanzenart von einem Ursprungslande ausgegangen sei, 
nicht etwa eine unabhängige 
Entstehung in so und so vielen verschiedenen Ländern gehabt habe, zunächst ol 
gehalten. Unten werde ich ausführlicher darauf zurückkommen. 
perflächlich fest- 
Diese gleichmässige Verbreitung der Pflanzen hat nun in den mittleren 
Perioden der Erdgeschichte allmählich aufgehört und ist einer immer mehr nach 
verschiedenen, in natürlicher Weise zusammenhängenden Ländern specialisirten 
Verbreitung auf engeres Areal gewichen, so dass es in der Gegenwart unmöglich 
sein würde, die gesammte Vegetation der Erde treffend nach wenigen Grundzügen 
zu schildern und ihre Eigenschaften im Vergleich mit denen etwa zur Steinkohlen- 
oder Jurazeit zu vergleichen. Es ist dies nur möglich, wenn wir den Blick auf 
engere Räume beschränken, über deren Grenzen zwar die Meinungen getheilt 
sind und auch zunächst so bleiben mögen; jedenfalls ist aus der einheitlichen 
Vegetation der Erde in der Gegenwart ein buntes Bild einzelner »Florenreiche« 
geworden. 
Wie sich die Vegetation von Periode zu Periode, bald rascher, bald lang- 
samer morphologisch höher und zugleich reichhaltiger entwickelte, indem neben 
den höheren Formen jüngeren geologischen Alters zugleich noch die weiter fort- 
entwickelten Typen grösseren geologischen Alters ihre Plätze behielten, so ist 
seit etwa der Mitte der secundären Perioden eine geographische Charakterver- 
schiedenheit in den Ländermassen der Erde zugleich mit den sich stetig häufen- 
den Organismen in immer höher werdendem Maasse eingetreten, so dass es un- 
móglich ist, die morphologische (systematische) Differenzirung des Pflanzenreiches 
ohne die gleichzeitige geographische in wissenschaftlichen Grundzügen zu ver- 
gleichen. Es lässt sich annehmen, dass, wenn nicht die allmählich eingetretene 
Verschiedenheit der Klimate in Zusammenwirkung mit den nun erst recht zur 
Geltung gelangenden Sperren durch hohe Gebirge als Wasser- und Wetterscheiden 
die Ausbreitung gewisser günstig beanlagter Pflanzenformen in Schranken gehalten 
hätte, die systematische, morphologische und biologische Mannig- 
faltigkeit der jetzigen Florenreiche der Erde niemals hätte zu Stande kommen 
können; denn wie sollten sonst die nordischen Wälder von Zapfenbäumen, die 
sommergrünen Laubwälder, die zur trocknen Jahreszeit ihre Blätter abwerfenden 
und die immergrünen Tropen- und Subtropenwälder in der Mannigfaltigkeit neben 
einander auf der Erde bestehen, wie sie ist, da doch nicht ein einziger Baum 
aus einer Waldgattung in eine zweite übergeht? Die kräftigsten, d. h. dem je- 
weiligen Erdklima am besten angepassten Formen würden die übrigen, sofern 
sie überhaupt entstanden wären, überwältigt haben. — So hat sich allmählich 
die wichtige Thatsache herausgebildet, dass die Heimat einer Pflanze einer 
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