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Die Morphologie und Physiologie der Pflanzenzelle.
2. Zellwachsthum.
Da, wie wir im Anfang dieses Kapitels gesehen haben, sámmtliche Ver-
mehrung der Zellen auf Theilung bereits vorhandener Zellen beruht, muss, wenn
keine fortwährende Verkleinerung derselben stattfinden soll, offenbar ein ent-
sprechendes Wachsthum mit der Vermehrung Hand in Hand gehen. So sehen
wir denn auch z. B. bei einem Zellfaden von Spirogyra, der bekanntlich aus
lauter physiologisch und morphologisch gleichartigen Zellen besteht, Zellwachs-
thum und Zelltheilung in der Weise parallel gehen, dass eine neue Theilung erst
dann erfolgt, wenn die aus der letzten Theilung hervorgegangenen Zellen un-
gefihr wieder die Grosse der Mutterzelle erlangt haben.
Eine so einfache Beziehung zwischen Zellwachsthum und Zellvermehrung
findet jedoch nur in den seltensten Fällen statt, und es verdient besonders her-
vorgehoben zu werden, dass diese beiden Processe, die die Grösse der Zellen
bedingen, ganz unabhängig von einander verlaufen können.
So haben wir in den einzelligen Pflanzen, wie Mucor oder Caulerpa, ein sehr
ausgiebiges Wachsthum ohne jede Zelltheilung, bei Szypocaulon und anderen
Sphacelariaceen findet ferner nach GEYLER (I) ein Wachsthum fast ausschliesslich
an der Spitze der Zweige statt, während die Zelltheilung erst in einiger Ent-
fernung vom Scheitel beginnt und da am intensivsten ist, wo gar kein Wachsthum
mehr erfolgt. Im Gegensatz hierzu findet bei den höheren Gewächsen die Zell-
theilung meist gerade vorwiegend am Stammscheitel statt, während das Wachs-
thum der Zellen in einiger Entfernung vom Scheitel,.in dem in der »Zellstreckung«
begriffenen Theile, am intensivsten ist. Endlich haben wir in der Bildung der
Schwürmsporen von C/adephera und Saprolegnia Beispiele intensiver Zelltheilung
ohne jedes Wachsthum der Mutterzelle.
Bei den höheren Gewáchsen kónnen nun offenbar Grôssenunterschiede
zwischen den verschiedenen Zellen, die aus einem aus lauter gleichartigen Zellen be-
stehenden Meristeme hervorgegangen sind, nur dadurch hervorgebracht werden, dass
die durch bedeutendere Grósse ausgezeichneten Zellen entweder eine geringere
Anzahl von Theilungen oder ein intensiveres Wachsthum erfahren. Während
man nun früher fast allgemein annahm, dass namentlich der erstere Factor bei
der Gewebedifferenzirung der höheren Gewächse eine wichtige Rolle spielte, hat
KRABBE (I) neuerdings gezeigt, dass Wachsthumsverschiedenheiten der verschie-
denen Zellen eine viel allgemeinere Verbreitung besitzen und in ganz hervor-
ragender Weise die Gewebebildung beeinflussen.
Offenbar ist nun aber ein intensiveres Wachsthum einer beliebigen im festen
Gewebeverbande befindlichen Zelle, wenn keine Compression oder Resorption
der umliegenden Zellen stattfindet, ohne Verschiebungen zwischen den verschie-
denen Zellen nicht möglich. So hat denn auch KRABBE durch eine umfassende
Untersuchung den Nachweis zu liefern gesucht, dass sogen. gleitendes Wachs-
thum, bei dem also die Membranen benachbarter Zellen sich auf einander ver-
schieben, auf einander »gleiten«, eine in den Geweben der höheren Gewächse
ganz allgemein verbreitete Erscheinung ist. Es scheint mir nun eine eingehende
Besprechung dieser Untersuchungen um so mehr geboten, da sie auch für unsere
Anschauungen von der Selbständigkeit der Zelle im pflanzlichen Organismus und
den Zusammenhang derselben untereinander eine grosse Bedeutung besitzen; ich
will es zunächst versuchen im Wesentlichen im Anschluss an die KRABBE’schen
Deductionen, an einem möglichst einfachen Beispiele die hierbei in Frage kommen-
den Punkte klarzulegen. Ich wähle hierzu die Gefässbildung der Dicotylen und
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