Full text: Handwörterbuch der Mineralogie, Geologie und Paläontologie (2. Abtheilung, 1. Theil, 2. Band)

   
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Die Gletscher. 97 
Beschaffenheit und Bedeutung zuerst richtig geschildert!). Zwischen dem Boden 
und der Unterfläche des Gletschers findet sich nach ihm ein Lager von Ge- 
schieben und feinem mit Wasser imprägnirtem Sand. Entfernt man dieses Lager, 
so erkennt man, dass das unterliegende Gestein durch die Reibung geglättet, 
polirt, abgenutzt und mit geradlinigen Kritzen bedeckt ist, welche wie mit einem 
Grabstichel eingravirt erscheinen. Der Mechanismus, durch welchen diese Kritzen 
eingegraben sind, ist derselbe, den die Industrie anwendet, um Steine oder 
Metalle zu poliren. Man bedient sich dazu eines Schleifpulvers. Das Lager 
von Geschieben und Schlamm zwischen Gletscher und Untergrund ist das Schleif- 
pulver. Die Masse des Gletschers, welche das Schlammlager fortwährend drückt 
und bewegt, indem sie selbst abwärts gleitet, ist die Hand des Polirers. Daher 
sind die Kritzen in dem Sinne der Gletscherbewegung gerichtet, aber da diese 
localen seitlichen Abweichungen unterworfen ist, so kreuzen sich auch die 
Schramınen und schneiden sich unter verschiedenen Winkeln. Auch zwischen 
die Seitenwánde des Gletschers und die Thalwánde gerathen zahlreiche Gesteins- 
trimmer. Alle diese, zwischen Fels und Gletscher eingeengt, werden von der 
unaufhórlich wirkenden Presse gedrückt, gestossen und zerrieben. Sie werden 
zu feinem Schlamm zermalmt oder wenn sie länger Widerstand zu leisten ver- 
mögen, so werdengdoch die Ecken abgestossen, die scharfen Kanten runden sich 
ab und die Trümmerstücke nehmen die Gestalt von Flussgeschieben an. Auch 
erhalten sie oft eine Menge in allen Richtungen sich kreuzender Kritzen; dieses 
zeigen am besten die wenig harten Kalksteine. Diese gekritzten Geschiebe sind 
von grosser Bedeutung für das Studium der Ausdehnung alter Gletscher. »Es 
sind,« sagt MARTINS, »die abgenutzten Münzen, deren Gegenwart in fast unzweifel- 
hafter Weise die frühere Existenz eines verschwundenen Gletschers anzeigt.« 
Alle diese zerriebenen, gerundeten und gekritzten Materialien gelangen durch 
die Bewegung des Gletschers allmáhlich an das untere Ende desselben und ver- 
einigen sich demnach hier mit seiner Endmorüne. Wirken hier die austretenden 
Gletscherwasser auf die herbeigeführten Materialien der Grundmoráüne ein, indem 
sie dieselben auswaschen und in der Gestalt von Geróll, Kies, Sand und Schlamm 
forttransportiren, so kann auch ein flacher und aus nach vorne geneigten Schichten 
zusammengesetzter Schuttkegel entstehen, der eben in dieser Schichtung von der 
Struktur der gewöhnlichen Endmoràáne abweicht?). 
Soweit ist an diesen mechanischen und transportirenden Wirkungen des 
Gletschers nur seine fliessende Bewegung betheiligt. Es ist klar, dass wenn das 
Ende eines Gletschers immer an derselben Stelle liegen bliebe, dann hier allein 
die Anhäufung einer gewaltigen Endmoräne aus den Oberflächen- und Grund- 
moränen sich vollziehen würde. Hier greift aber nun die oscillatorische Vor- 
und Rückwärtsbewegung des Gletscherendes ganz bedeutend umgestaltend ein. 
Ein vorrückender Gletscher schiebt nothwendig auch seine Endmoräne vor 
sich her. Die Grundmoräne wird sich kaum zu einem Walle aufzuthürmen ver- 
mógen, denn der Gletscher schiebt sich über dieselbe, zerstórt sie und bedeckt 
sie aufs Neue. Alles Material, das die vorrückende Gletscherstirn auf dem Fels- 
grunde antrifft, der vor ihr gelegen ist, schiebt sie mit vor sich her und ver- 
einigt es mit dem Materiale, das auf und in dem Eise selbst abwárts wanderte. 
1) Revue des deux Mondes. 1847. I. pag. 704 vergl. auch PENK, Die Vergletscherung der 
deutschen Alpen. pag. 34. 
2) PENK 1. c. pag. 117. 
KENNGOTT, Min. Geol. u. Pal. II. 7 
  
    
   
   
  
   
  
  
   
  
     
   
   
   
  
  
  
  
  
  
   
   
   
   
   
  
    
   
   
  
    
  
  
   
  
   
   
  
    
   
   
  
  
    
   
  
  
  
    
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
 
	        
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