434 Handwörterbuch der Chemie.
jenigen der unter starker Spannung stehenden als Blitz sich manifestirenden
atmosphärischen Elektricität, welche die Bildung von salpetersaurem und salpetrig-
saurem Ammoniak veranlasst. Ausgedehnte Versuche von BERTHELOT (70) zeigen,
dass der Stickstoff unter den gewöhnlichen atmosphärischen Verhältnissen direkt
von den pflanzlichen Geweben zu complicirten Verbindungen gebunden wird und
damit das Material zur Bildung von Nitraten, besonders Kaliumnitrat, liefert.
Obgleich diese Wirkungen an sich nur sehr klein und schwer nachweisbar sind,
haben sie doch, da sie zu jeder Zeit und an jedem Punkte der Erdoberfläche
stattfinden, die grösste Bedeutung für den Haushalt der Natur.
Vorkommen und Gewinnung. In einigen Lündern sind die Bedingungen dazu vor-
handen, dass der aus organischen Stoffen und Kaliumcarbonat entstandene Salpeter, gemischt
mit anderen Nitraten, in erheblichen Mengen auftritt und, vom Wasser gelóst und durch die
Sonnenwürme aus der Lósung ausgeschieden, an dem Erdboden auswittert. Solche Vorkommen
sind in Spanien, Ungarn, Aegypten, Persien und namentlich in Bengalen auf der Ostseite des
Ganges und in Ceylon. Nach Davy enthält eine Salpetererde aus Bengalen 8:3 Thle. Kalium-
nitrat, 37 Thle. Calciumnitrat, 0-8 Thle. Calciumsulfat, 0:2 Thle. Chlornatrium, 35 Thle. Calcium-
carbonat, 12 Thle. Wasser, worin organische Stoffe, und 40 in Salpetersáure unlósliche Theile.
Solche Salpetererde wird mit Wasser ausgelaugt, und die Lauge wird zur Krystallisation einge-
dampft. Wenn Holzasche vorhanden ist, setzt man eine Lauge aus derselben zu, um mittelst
der Potasche die Carbonate der Erdalkalien unlóslich auszuscheiden und mehr Kalisalpeter in
Lósung zu bringen. Nach diesem »Brechen der Lauge« wird eingedampft. Während des Ein-
dampfens scheiden sich fremde Salze, Gyps, Carbonate, Chlorüre u. s. w. aus. Beim Erkalten
der genügend concentrirten Lauge krystallisirt dann der Salpeter aus, der durch Umkrystallisation
raffinirt wird. Die heisse Lósung wird zweckmüssig mit etwas Leim versetzt, auf 50 Kilogrm.
Rohsalpeter etwa 920—925 Grm., wodurch die vorhandenen organischen Verbindungen in eine
leicht zu beseitigende Schaumdecke übergeführt werden. Der beim Erkalten der Lósung ausge-
schiedene Salpeter wird durch Decken, d. h. Waschen mit concentrirter, reiner Salpeterlósung,
weiter gereinigt und dann getrocknet. Dies ist der natürliche oder exotische Salpeter,
der hauptsüchlich aus Ostindien (jührlich etwa 40000 Tons) nach Europa gebracht wird. Die
Raffination wird gewöhnlich in Europa ausgeführt.
Man hat die Verhiltnisse, welche die Salpeterbildung in der Natur bedingen, absichtlich
herbeigeführt. Dies geschah früher in ausgedehntem Maasse und geschieht noch hier und da
in den sogen. Salpeterplantagen. Besonders in Frankreich blühte diese Industrie seit den
Kriegen des 15. Jahrhundert, als das Schiesspulver allgemein Eingang gefunden hatte.
Eine Salpeterplantage oder Nitriére bildet einen weiten Raum, der zur Abhaltung des
Regens von einem Dach bedeckt ist, und auf welchem man Erde mit thierischen und pflanz-
lichen Abfällen, Holzasche, Bauschutt, Kalk, Mergel u. dgl. mischt. Aus dem Gemenge werden
Mauern oder Haufen hergestellt, die von Zweiggeflecht unterbrochen werden und mit Lóchern
durchbohrt sind, so dass eine Luftcirculation stattfinden kann. Man befeuchtet die Masse mit
Urin oder Mistjauche. Die Zersetzung der organischen Stoffe vollzieht sich langsam und endigt
mit der vollstindigen Oxydation der stickstoffhaltigen Verbindungen. Die Anlagen liefern schon
nach einem Jahre Salpeter; die ausgelaugte Erde geht in die Fabrikation zurück und liefert im
zweiten und dritten Jahre wiederum und selbst mehr Salpeter als im ersten Jahre. Nach 8 Jahren
ist die Erde erschôpft. Auch die salpeterhaltigen Erden und Materialien in Viehstállen, Kellern,
oder von Bauschutt herrührend, auch poróse, mit organischen Massen durchsetzte Kalksteine, wie
die Tuffe der Touraine, wurden ausgelaugt. In Frankreich geschah dies von mit besondern
Privilegien ausgestatteten Personen (salpetriers), welchen der Zutritt in jedes Privathaus frei stand.
Die Salpeterernte belief sich in Frankreich zur Zeit Ludwigs XIII. auf 3500000 Pfund; dann
nahm sie allmählich ab, besonders in Folge der Einfuhr des ostindischen Salpeters. Als diese
Quelle in den Revolutionskriegen verstopft war, forderte ein Dekret vom 14. Frimaire des
Jahres II der Republik alle Bürger auf, geeignete Erden auf ihren Grundstücken auszulaugen.
Die Production hob sich auf 16 Millionen Pfund, die in 6000 Fabriken hergestellt wurden.
Später verschwand diese Fabrikation fast völlig, besonders als die regelmässige Ausbeutung der
md Ja P UO eM