Full text: Handwörterbuch der Chemie (2. Abtheilung, 3. Theil, 6. Band)

       
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
   
   
  
  
   
     
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
552 Handwörterbuch der Chemie. 
Ferner schmilzt Natriumthiosulfat bei 48:5? in seinem eigenen Krystallwasser 
und kann tagelang in einer verschlossenen Flasche bei gewóhnlicher Temperatur 
aufbewahrt werden. Hier ist es doch hóchst unwahrscheinlich, anzunehmen, 
dass sich wasserfreies Salz bildet, das in dem Wasser gelóst ist, sondern die ge- 
schmolzene Masse besteht aus der Verbindung (Na,S,0,5 H,O),, wie flüssiges 
Wasser die Zusammensetzung (H,O), hat, wo x und y unbekannte Zahlen sind. 
Die meisten Substanzen erzeugen bei ihrer Lósung eine Contraction, würden 
sie sich daher ohne Temperaturinderung ausscheiden, so würde eine Dilatation 
eintreten. Die stark übersáttigten Lósungen und überschmolzenen Substanzen mit 
Ausnahme des Wassers ziehen sich aber beim Festwerden zusammen. In ihnen 
existirt also eine Spannung, die erst dann durch die Cohision überwunden wird, 
wenn diese durch eine Temperaturerniedrigung beträchtlich gesunken ist. Die 
Aufhebung der Spannung kann dabei in verschiedener Weise erfolgen, wenn sich 
z. B. verschiedene Hydrate oder dimorphe Körper bilden. 
Damit in einer gesättigten Lösung die Bildung eines Krystalles stattfindet, 
müssen so viel Moleküle zusammentreffen als nöthig sind, um ein Krystallelement zu 
bilden, sie müssen ferner in den richtigen Lagen zusammenstossen. Für die Zahl 
der Zusammenstösse ist dabei einmal die Geschwindigkeit der Bewegung maass- 
gebend und diese ist um so kleiner, je grösser die Masse der Verbindung ist. 
Weiter vereinen sich häufig erst im Momente des Zusammenstosses aus ihren ver- 
schiedenen, in der Lösung als dissocirt anzunehmenden Bestandtheilen die im Krystall 
enthaltenen Moleküle, die sogen. Krystallelemente. Beide Momente erklären die Er- 
scheinung, dass complicirtere Verbindungen im Allgemeinen leichter übersättigte 
Lösungen oder Ueberschmelzungen liefern. Ist einmal ein Krystallelement ge- 
bildet, so wird es aus zwei Gründen nur schwierig wieder zerlegt. Die Be- 
dingung für eine gesättigte Lösung ist die, dass die Zahl der Moleküle, welche in Be- 
wegungszuständen sich befinden, die zur Krystallbildung geeignet sind, gerade so 
ist, als die derjenigen, bei denen das Entgegengesetzte der Fall ist. Bei einer über- 
sättigten Lösung haben erstere das Uebergewicht und bedürfen nur eines Anstosses, 
um sich zu Krystallen zu vereinen, und dieser wird durch die von dem einmal ge- 
bildeten Krystallelemente ausgehenden richtenden Kräfte geliefert, hier ist die Masse 
des Krystallelementes grösser als die der auf dasselbe prallenden Moleküle, und der 
Stoss vertheilt sich auf die ganze Masse des ersteren. 
Da aber die Bildung des ersten Krystallelementes eine reine Sache des Zu- 
falles ist, so können wir auf dieselbe die Principien der Wahrscheinlichkeits- 
rechnung anwenden, dann wird aber die doppelte Menge 1 Wahrscheinlichkeit 
haben nicht zu krystallisiren, die dreifache 3 u. s. w. als die einfache, daraus 
erklärt es sich, dass die in Capillarröhren eingeschlossenen, so sehr kleinen Mengen 
sehr leicht übersättigt bleiben. 
Die Constitution der nichtgesättigten, gesättigten und übersättigten Lösungen 
unterscheidet sich demnach nicht wesentlich von einander und es findet daher 
wenigstens keine sprungweise Veränderung beim Uebergang in den übersättigten 
Zustand statt. : 
Lässt man eine bei höheren Temperaturen nicht gesättigte Lösung allmählich 
abkühlen, so dass sie erst gesättigt, dann übersättigt wird, so zeigt sich beim 
Uebergang durch den Sättigungspunkt keine sprungweise Aenderung der Eigen- 
schaften. Sie ändern sich hier in ganz derselben Weise wie vorher. Dies ist 
nachgewiesen für die Zähigkeit, den Ausdehnungscoefficienten, die Dichte, das
	        
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