Full text: Handwörterbuch der Chemie (2. Abtheilung, 3. Theil, 10. Band)

Handwörterbuch der Chemie. 
Eine Ausnahme bildet die Kohlensäure, welche als zweibasisch betrachtet 
werden muss und doch nur ein Carboxyl enthält: OHCO,H, ferner die 
Blausáure, HCN etc. 
Mit der Bestimmung der Basizität einer Sáure ist aber, wenigstens in der 
organischen Chemie, die Natur der Sáure noch nicht vollständig erkannt, da es 
Säuren giebt, die ausserdem noch andre Funktionen besitzen, d.”h. Alkohole, 
Phenole, Aldehyde, Ketone, Amide etc. sind. Man nimmt in diesen Verbindungen 
neben der die Säurenatur bedingenden CO4,H Gruppe nach die OH, COH, CO- 
und NH,-Gruppe etc. an, da die Eigenschaften dieser Körper geradezu als Summe 
der Säureeigenschaften plus der Eigenschaften eines Alkohols, Phenols, Aldehyds, 
Ketons, Amids etc. erscheinen. Man nennt solche Körper Alkoholsäuren, Phenol- 
säuren, Aldehydsäuren, Ketonsäuren, Amidosäuren etc. Da über alle diese Körper 
besondere Artikel in diesem Buche zu finden sind, so kann ich mich hier sehr 
kurz fassen. (Ueber Amidosäuren findet sich das Nöthige im Art. Amine und 
Fettsäuren). 
Unter Aldehydsäuren z. B. versteht man Verbindungen, welche die Eigen- 
schaften eines Aldehyds mit denen einer Säure vereinigen, welche also neben 
der Salz- und Esterbildung etc. durch die Aufnahme von Sauerstoft in eine höher 
basische Säure sich verwandeln lassen, Silberlösung unter Spiegelbildung redu- 
ziren, sich mit Bisulfiten vereinigen etc. Náher bekannt von solchen Verbindungen 
sind die Glyoxylsäure und die Opiansäure (s. Bd. I). 
Wichtig für die Natur der Säuren ist ferner der Begriff ihrer Stärke, Affinität 
oder Avidität (Vergl. die Art. Affinität und Verwandtschaft). Schon seit langer 
Zeit spricht man von starken und schwachen Säuren, und vielfach hat man sich 
die Frage vorgelegt und zu entscheiden gesucht, welche von zwei Säuren die 
stärkere sei. Den Begriff zahlenmässig festzustellen ist aber erst neuerdings ge- 
lungen und zwar ist J. THOMSON der erste, der dahin bezügliche Versuche machte (3). 
Von diesem ist der Begriff der Stürke, Affinitit oder Aviditit einer Säure zu- 
nächst aus der Menge Base abgeleitet worden, welche sich mit ihr verbindet, 
wenn gleichzeitig eine zweite konkurrirende Sáure zugegen ist und alle drei Körper 
in üquivalenten Mengen vorhanden sind. Das Verhiltniss der Avidititen der 
beiden Säuren, und nur dieses lässt sich bestimmen, ist direkt gleich dem Ver- 
háltniss der entstehenden Salzmengen. 'THowsow bestimmte dasselbe thermo- 
chemisch (4) Osrwarp spáter volumchemisch (5) und mit Hülfe des Brechungs- 
coëfficienten. Da es sich hier um Verhältnisszahlen handelt, so werden dieselben 
zweckmässig alle auf dieselbe Einheit und zwar meist auf die Affinität der Salz- 
säure gleich 1 oder gleich 100 bezogen. Es ist nun bemerkenswerth, dass die 
erhaltenen Zahlen wenigstens vielfach von der Anordnung des Versuchs, d. h. 
von der angewandten Basis unabhängig sind, und dass die nach verschiedenen 
Methoden erhaltenen Zahlenresultate doch wenigstens ungefähr übereinstimmen. 
Auch Versuche ganz anderer Art, wie die über Inversion des Rohrzuckers durch 
Säuren (6) und über die durch solche bewirkte Zerlegung des Acetamids (7) und 
des Methylacetats (8), bei denen mit Hülfe der sogen. Geschwindigkeitcoéfficienten 
auf die Affinitátscoéfficienten geschlossen werden kann, führen zu annähernd ver- 
gleichbaren Werthen. Als Beleg möge folgende Tabelle dienen. Die unter I 
und II gegebenen Zahlen bedeuten die specifischen Affinititscoéfficienten der be- 
treffenden Sáuren auf Salzsáure — 100 bezogen, wobei I aus den bei der Zerlegung 
des Acetamids gewonnenen Resultaten, II aus der Zerlegung von Neutralsalzen 
     
   
   
  
  
  
   
    
  
  
  
  
  
   
   
    
  
   
   
   
   
  
  
  
  
   
    
     
     
  
  
  
   
   
      
   
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Ber. 22, pag 
Chem. 254, 1 
pag. 813. 
pag. 168. 3 
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