170 Handwörterbuch der Chemie.
Trotzdem empfiehlt es sich, die Theorien der Stereochemie hier nach dem
Vorgange vaw'r HorF's im Sinne und in der Ausdrucksweise der Strukturchemie
zu entwickeln; theils aus dem Zweckmässigkeitsgrunde grôsserer Anschaulichkeit
und bequemeren Ausdrucks, theils um den geläufigen herrschenden Anschauungen
móglichst nahe zu bleiben, theils endlich, weil die Stereochemie historisch aus
der Strukturchemie hervorgegangen ist. Es sollen also, wo nicht das Gegentheil
besonders bemerkt ist, die Annahmen gemacht werden, dass die Valenz nicht
nur eine Zahl, sondern zugleich eine dieser Zahl gleiche Summe gesonderter
Einzelkrüfte darstelle; dass die Atome durch diese »Valenzeinheiten« gebunden
werden; dass diese Valenzeinheiten bei mehrwerthigen Atomen einander gleich
seien, eine bestimmte Richtung besitzen und aus derselben allfällig »abgelenkt«
werden kónnen; endlich, dass die ungesáttigten Verbindungen doppelte, bezw.
mehrfache Bindungen enthalten.
Die Nothwendigkeit stereochemischer Vorstellungen bezw. die
Unzulünglichkeit der bisherigen strukturchemischen "Vorstellungen zeigte sich
zuerst auf demselben Gebiete, von welchem aus die theoretische Chemie über-
haupt am wesentlichsten gefördert wurde: auf dem Gebiete der Isomerie.
Anfangs vermochte die Strukturchemie Zahl und Eigenschaften fast aller Sub-
stanzen mit gleich viel Atomen in der Molekel durch die verschiedene Verkettung
dieser Atome befriedigend zu erklären, und durch Strukturformeln ohne Berück-
sichtigung räumlicher Verhältnisse wiederzugeben; später indess wurden anfänglich
vereinzelte, allmählich aber sich vermehrende Isomeriefälle entdeckt, für welche
es kaum, bezw. gar nicht möglich war, Strukturverschiedenheit anzunehmen,
und welche in Ermangelung einer prägnanten Bezeichnung als »Modifikationen«,
»physikalisch isomere Substanzen« u. s. w. unterschieden, natürlicherweise damit
aber ihrem Wesen nach nicht erklärt wurden. Die Versuche, derartige Ver-
schiedenheiten strukturidentischer Körper auf Verschiedenheit der räumlichen
Anordnung der Atome innerhalb der Molekel zurückzuführen, bedeuten zugleich
die ersten Anfänge stereochemischer Vorstellungen.
Kurzer Ueberblick über die Entwicklung der Stereochemie.
Der erste Anstoss zu stereochemischen Betrachtungen ist auf PASTEUR zurück-
zuführen, welcher in seinen »Recherches sur la dissymétrie moléculaire des
DINGER, Wien. Monatsh. 11, pag. 545. 24) Berl. Ber. 15, pag. 1731. 25) Ber. Ber. 21,
pag. 2590. 26) KÖRNER u. MENozzl, Gazz. chim. 1887, pag. 226. 27) JUNGFLEISCH, Bull.
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LEWSKI, Berl Ber. 25, pag. 1556. 32) OSTWALD, Zeitschr. phys. Chem. 3, pag. 371.
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