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Die Morphologie der Phanerogamen.
bilden, sondern auch durch secundäres Dickenwachsthum (s. die ver-
gleichende Anatomie) mit den Erfordernissen des sich regelmässig verdickenden
Stengels gleichen Schritt zu halten; dadurch fällt dann die Nothwendigkeit
adventiver Wurzelbildungen fort, und so besitzen namentlich die Laubbäume
der genannten Klasse ein starkes, aus den normalen V erzweigungen der Hauptwurzel
hervorgegangenes Wurzelsystem, und ebenso die Nadelhólzer; die Hauptachse
der Wurzel wird alsdann Pfahlwurzel (Radix palearia) genannt, welche
Wurzeläste, -zweige und -zasern ausbildet. Dagegen fehlt den Monocotyledonen
und einer grossen Zahl von nicht zu Bäumen heranwachsenden Dicotyledonen
das kräftige Weiterwachsen der Hauptwurzel; dieselbe kann sich nicht zu einer
Pfahlwurzel heranbilden, und in der Regel sind auch ihre erstgebildeten Aeste
nicht im Stande, durch eigenes kräftiges Weiterwachsen und reichere Verzweigung
dieselbe zu ersetzen. Dann muss der Hauptstengel oder dessen Aeste durch
Bildung adventiver Wurzeln aushelfen; dieselben haben oft schon kurz nach der
Keimung der jugendlichen Phanerogame ein sehr intensives Wachsthum, und so
kann man auch schon an der in Fig. ı abgebildeten Mmphaeca das Ueberwiegen
des Wachsthums der Adventivwurzeln RA), verglichen mit der Hauptwurzel (R)
auffällig bemerken. Dieselben entstehen dem oben Gesagten entsprechend
endogen, haben aber mit der Hauptwurzel alle Eigenschaften gemeinsam bis
auf die derselben zukommende Fühigkeit, durch kräftiges Dickenwachsthum
und reiche Verzweigung die Wurzelfunctionen auf eine einzige Rhizicom-Haupt-
achse zu concentriren; wo 2dventive Wurzeln sich überhaupt bilden, entstehen
Sie auch in Mehrzahl, und sind in der Regel nur für eine kurze Lebensdauer
bestimmt, werden durch jüngere ersetzt, wie die ältesten einst zum Ersatz der
Hauptwurzel bestimmt waren. — Wo Wurzeln Caulome durchbrechen — so
also auch bei der endogenen Anlage der Hauptwurzel im Samen — lassen sie
dusserlich einen ringartigen Wulst an der Durchbruchsstelle entstehen; man
nennt diesen die Wurzelscheide (Coleorrhiza); an Adventivwurzeln fehlt
dieselbe nicht, an der Hauptwurzel sollte sie auch nicht fehlen, ist aber sehr
oft nicht deutlich erkennbar und durch allmiühliche Ausstreckung des Stengels
verwischt. Am deutlichsten pflegt sie bei keimenden Monocotyledonen, z. B.
bei den Gramineen und Palmen sich zu erkennen zu geben, und dies gab
A. RicHaRD [l c. pag. 160— 163, de lembryon; und an anderen Orten] Ver-
anlassung, auf diesen Charakter eine Trennung zwischen Exorhizen (ent-
sprechend unseren Dicotyledonen) und Endorhizen (entsprechend unseren
Monocotyledonen) zu versuchen. Die genauere Untersuchung der Entwicklungs-
geschichte der Hauptwurzel bei beiden hat zwar die Schärfe des Charakters ver-
wischt, doch besteht bei der Mehrzahl der die beiden Klassen constituirenden
Pflanzen eine Verschiedenheit der äusseren Erscheinung und liefert daher der
Systematik einen sogen. typischen Charakter.!)
Die Verzweigung der Wurzeln geht in ziemlich freier Weise vor sich und
hat durchaus nicht jene Regelmässigkeit in der Anordnung der Sprossungen, wie
sie die Stengel zeigen; nur ganz im allgemeinen lässt sich feststellen, dass die
Jüngsten Verzweigungen der Spitze der Abstammungsachse zunächst sich aus-
gliedern, dass die weiter von der Spitze entfernten ihr grösseres Alter durch
bedeutendere Dimensionen und durch eigene Ausgliederung anzeigen; aber sehr
7) Man benennt so diejenigen Charaktere, welche zu viele einzelne Ausnahmen zeigen, als
dass ihre strenge Anwendung zur Classificirung und zu Kriterien ersten Ranges erlaubt wäre,