Full text: Lehrbuch der physiologischen Chemie

     
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Bevor wir zur Verdauung der Eiweifstoffe und der Peptone im Darmkanal 
übergehen, müssen wir noch eines viel umstrittenen Fermentsystems gedenken, 
nämlich des Labfermentes, auch Chymosin bzw. Chymase genannt. Es 
bewirkt die Milchgerinnung im Magen. Sicher nachgewiesen ist es im Lab- 
magen des Kalbes, dagegen ist fraglich geworden, ob es auch bei uns vorkommt. 
Es hat das Pepsin als solches nàmlich die gleiche Wirkung!. Der Milchgerinnung 
liegt die Umwandlung von Kaseinogen der Milch in Kasein zugrunde. Was eigent- 
lich vor sich geht, ist nicht vollkommen aufgeklärt. Wir wissen nur, daß nicht 
Eiweiß als solches, vielmehr ein Kalksalz ausfällt. Ist kein Kalzium vorhanden, 
dann kommt es auch nicht zur Milchgerinnung. Nun haben wir S. 118 erfahren, 
daß Kaseinogen ein Phosphöproteid ist. Die Phosphorsäure ist esterartig mit der 
x-Amino-ß-oxypropionsäure. (Serin) verknüpft. Es ist naheliegend, sich vorzu- 
stellen, daß das Kalzium sich mit der Phosphorsäure bindet, und das so entstandene 
‘Produkt die Eigenschaft hat, unter den im Magen vorhandenen Bedingungen 
unlöslich zu sein. Nebenbei sei daran erinnert, daß mit dem Kasein zugleich das 
Milchfett ausfällt (vgl. S. 17). Wir haben damals auf die biologische Bedeutung 
der Milchgerinnung hingewiesen?. 
Sämtliche Fermentsysteme, die im Dünndarm wirksam sind, benötigen zu 
ihrer Wirkung der schwach alkalischen Reaktion. Wir haben bereits S. 80 ge- 
schildert, in welcher Weise verhindert wird, daß der aus dem Magen kommende 
saure Chymus die Verdauungsvorgänge im Duodenum stört. Bevor wir uns der 
Frage nach dem Ausmaß der Wirkung jener Fermentsysteme, die im Darmkanal 
auf Eiweiß und Peptone einwirken, zuwenden, sei der folgenden Beobachtung 
gedacht. Vollzieht man die Verdauung unter möglichster Sicherung optimaler 
Bedingungen für die beteiligten Fermentsysteme außerhalb des Verdauungskanals, 
dann ist man überrascht von dem langsamen Fortschreiten des Abbaus von Ei- 
weiß. Man beobachtet zwar bei Anwendung von Pankreas- und Darmsaft das 
baldige Freiwerden von Aminosäuren, jedoch verlangsamt sich der Abbau des Ei- 
weißes bzw. der entstandenen Abbaustufen mehr und mehr. Ein Modellversuch 
brachte eine eindeutige Aufklàiung dieses Befundes. LáDt man z. B. ein Dipeptid 
durch Fermente im ,,Reagenzglas'' zerlegen, dann kann man den Gang der Hydro- 
lyse quantitativ verfolgen (z. B. durch Bestimmung der jeweils in der Verdauungs- 
flüssigkeit vorhandenen NH ,- oder COOH-Gruppen). Wiederholt man den gleichen 
Versuch unter genau den gleichen Bedingungen jedoch unter Zusatz der ent- 
stehenden Spaltprodukte, dann verzógert sich der Abbau gleich von Anfang an. 
Es sind die entstehenden Abbauprodukte, die hemmend wirken. Im Darmkanal 
werden diese, sobald sie zur Resorption geeignet sind, fortlaufend aus dem Chymus 
entfernt. Es kommt unter normalen Verháltnissen nie zu einer Anhdufung von 
resorbierbaren A5bauprodükten. Hinzu kommt nun noch, daD die Fermente des 
Darmkanals mit den jeweils vorhandenen geringen Mengen an Chymusbestandteilen 
rasch fertig werden. Es findet fortlaufende Abgabe von fermenthaitigen Sekreten 
und innige Vermischung mit dem Chymus statt. Wir erkennen aus diesen Fest- 
stellungen, daD es unmóglich ist, den Verdauungsvorgang auDerhalb des Organismus 
nachzuahmen. Es fehlt die Möglichkeit der Entfernung der resorptionsfáhigen 
Abbauprodukte. Wir können auch nicht qualitativ und quantitativ fortlaufend 
die in Frage kommenden Fermentsysteme in optimalem Ausmafe zufügen. 
1 Auch Trypsin zeigt Labwirkung. 
? Bei der Gewinnung von kristallisiertem Pepsin wurde festgestellt, daB neben diesem 
noch ein Fermentsystem vorhanden ist, das Gelatine viel rascher abbaut als jenes. Es ist 
Gelatinase genannt worden. 
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