Full text: Lehrbuch der physiologischen Chemie

  
  
    
Es ist nun eine Fermentgruppe aufgefunden worden, die aus Diaminen 
oxydativ ein Molekül Ammoniak frei macht. Es handelt sich um ein 
Fermentsystem mit einem weiten Substratbereich. Wir erwáhnten S. 149 ein 
Ferment, das Histamin desaminiert. Dasselbe vermittelt auch die Abspaltung von 
Ammoniak u. a. aus Putreszin, Kadaverin, Agmatin, Spermin. Es hat die 
Bezeichnung Diaminoxydase erhalten. Es wirkt nach der Gleichung 
: lO 
R - CH, - NH; + O, + H,0 — R-CC + H,0, + NHz. 
H 
Es ist besonders stark in der Niere vertreten. Leber, Darmschleimhaut, Nebenniere, 
Pankreasdrüse weisen gleichfalls Diaminoxydase auf. Interessanterweise nimmt 
wührend der Schwangerschaft der Gehalt an Diaminoxydase erheblich zu. Auch 
die Plazenta weist sie auf. 
Nicht unerwáhnt wollen wir lassen, daD mancherlei Befunde darauf hinweisen, 
daB auBer den Fermentsystemen, in denen ein Anteil die Wirkgruppe trágt und 
ein anderer, offenbar stets eiweiDartiger Natur, einerseits die Substratspezifitát 
bedingt und anderseits durch Kuppelung mit dem Koferment und Aufnahme 
des zu beeinflussenden Substrates die Wirkungsbedingungen schafft, noch Ver- 
bindungen festgestellt worden sind, die, ohne einem solchen System anzugehóren, 
bestimmte katalytische Wirkungen hervorbringen kónnen. Als Beispiel sei er- 
wühnt, daB Adrenalin, wie schon S. 157 mitgeteilt, sehr leicht oxydiert wird. 
Dabei entsteht ein chinonartiger Kórper, der z. B. die Desaminierung von Glyko- 
koll, das in wáDriger Lósung allmáhlich von selbst unter Ammoniakbildung zer- 
fállt, katalysiert. Es ist ferner beobachtet, daB Askorbinsáure aus Aminosáuren 
unter NH,-Abspaltung den um ein C-Atom àrmeren Aldehyd zu bilden vermag. Es 
ließe sich die Reihe solcher Beispiele noch wesentlich vergrößern. Wir wollen uns 
jedoch mit diesen Andeutungen begnügen, und zwar deshalb, weil nicht erwiesen 
ist, daß den erwähnten Vorgängen im Zellstoffwechsel eine Bedeutung zukommt. 
Es muß immer wieder unterstrichen werden, daß Befunde der genannten Art nur 
dann physiologische Bedeutung haben, wenn sie unter Bedingungen erhoben 
werden können, die im Zelleben vorkommen. Das ist nun bei der gróDten Zahl 
von sog. Modellversuchen keineswegs der Fall. Bei der Askorbinsàure besteht 
übrigens die Möglichkeit, daß sie sich indirekt bei Fermentvorgàngen auswirkt, 
und zwar in Gestalt des Schutzes von Zwischenprodukten vor Oxydation. 
Wir haben drei große Klassen von Wirkstoffen kennengelernt, die unter sich 
in engen Beziehungen stehen. Gemeinsam haben sie die Wirkung in mehr oder 
weniger kleinen Mengen. Nun spielen in der Natur in sehr großer Zahl Wirkstoffe 
eine entscheidende Rolle, die zum Teil den Hormonen, zum Teil auch den Vita- 
minen und Fermenten zugerechnet werden können, die jedoch auch zum Teil 
eine Gruppe für sich bilden. Man kann schließlich mit gutem Recht 
jedes. im Zellstoffwechsel entstehende Produkt als Wirkstoff be- 
zeichnen. Es gibt auch nicht einen Stoffwechselvorgang, der nicht durch Stoffe 
dieser Art gesteuert ist. Man muß immer im Auge behalten; daß in unserem Orga- 
nismus in einem ganz gewaltigen Ausmaße — bezogen auf die Anzahl der ,, Wirk- 
stätten‘“ — unausgesetzt Umsetzungen erfolgen, die alle irgendwie aufeinander 
abgestimmt sein müssen. Dabei gilt es sámtliche Teilvorgànge so zu leiten, dab 
der Gesamtorganismus eine bestimmte Temperatur — etwa 379 — aufrecht- 
erhalten kann. Das ist nur móglich, wenn in jeder einzelnen Zelle die Oxydations- 
vorgänge weitgehend unterteilt sind, so daB in keinem Augenblick plötzlich viel 
Energie auf einmal frei werden kann. 
  
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