Full text: Lehrbuch der physiologischen Chemie

  
  
  
  
dann zweifelhaft, ob es zur Aufdeckung physiologischen. Geschehens kommt, 
wenn mehrere Einwirkungen auf den Organismus stattfinden, wie z. B. Weg- 
nahme mehrerer Organe oder Kombination von Organexstirpationen mit Zu- 
führung bestimmter Verbindungen mit evtl. toxischen Folgen. Je kritischer die 
Einstellung gegenüber solchen Versuchen ist, um so geringer ist die Gefahr 
beständiger Änderungen von Auffassungen über bestimmtes Geschehen. im 
Organismus! 
In neuester Zeit ist beobachtet worden, daß ein Baustein der 5. 19 erwähnten 
Phosphatide, den wir bald kennenlernen werden, genannt Cholin, Einfluß auf 
den Fettum- und -ansatz in der Leber hat. Zufuhr dieser Verbindung 
steigert sowohl die Bildung als auch den Abbau von Fetten in diesem 
Organ. Ausgangspunkt für diese Feststellung war der Befund, daB die bei 
pankreaslosen Hunden zu beobachtende Fettleber ausbleibt, wenn die genannte 
Verbindung zugeführt wird. Hier ergibt sich die Frage, ob ein physiologischer 
Vorgang aufgedeckt ist oder aber, ob Mengen von Cholin zur Wirkung gelangt 
sind, die unter normalen Verhältnissen nicht zur Verfügung stehen. Wir berühren 
damit eine sehr wunde Stelle der Forschung auf dem Gebiete der gesamten 
Physiologie! Wann ist die Wirkung eines dem Organismus zugeführten Stoffes 
oder eine durch ein Organ geleitete oder endlich einem Gewebsschnitt bzw. einem 
GewebspreBsaft oder -extrakt zugefügte Verbindung als eine physiologische und 
wann als pharmakologische bzw. toxikologische zu betrachten? Von der ein- 
deutigen Beantwortung dieser Frage hängt außerordentlich viel ab! Es unterliegt 
nicht dem geringsten Zweifel, daß in großer Zahl in der erwähnten Weise erhobene 
Befunde zur Erklärung physiologischen Geschehens verwertet worden sind, die 
unter Bedingungen zustande kamen, die im Organismus niemals anzutreffen sind. 
Wir müssen nun noch einer. Form der Fettsucht gedenken, die sehr häufig ist, 
und die kurzer Hand als Mastfettsucht bezeichnet werden kann. Vielfach liegt 
ein circulus vitiosus vor. Infolge übermäßiger Zufuhr von Nahrungsstoffen, aus 
denen Fett hervorgehen kann — Fette und Kohlenhydrate —, erfolgt Fett- 
ansatz in übersteigertem Ausmaße. In der Folge schränken die betreffenden 
Menschen die Muskeltätigkeit ein. Sie fangen an, unter ihrer Körperlast zu leiden! 
Jeder Zuwachs an Fettgewebe bedeutet Erweiterung des Blutgefäßsystems. Es 
kommt zur Neubildung von kleinen GefáBen und vor allem von Kapillaren zur 
Versorgung von neu entstandenen Fettzellen. Das hat zur Folge, daß größere 
Ansprüche an die Herztätigkeit gestellt werden. Oft ist von vornherein große 
Trägheit, verbunden mit viel Nahrungszufuhr, die Ursache dieser Art von Fett- 
sucht. Sie ist immer ein Zeichen von ungesunder Lebensweise, falls nicht 
Störungen von seiten der Funktion bestimmter Hormonorgane gesteigerten Fett- 
ansatz bedingen. Ohne Zweifel gibt es auch eine Anlage zur Fettsucht, die 
vererbt werden kann. Inwieweit dabei jeweils bestimmte Hormonorgane be- 
teiligt sind, steht noch nicht fest. 
Neben der hormonalen Steuerung des Fettstoffwechsels oder besser gesagt mit 
ihr zusammen wirkt sich über die entsprechenden nervósen Zentren des Zwischen- 
hirns das sympathische Nervensystem aus. Von großem Interesse ist, daß 
beim Hunde nach Durchschneidung des Rückenmarkes in der Höhe des ersten 
bis siebenten Brustwirbels keine Einwanderung von Fett in die Leber aus den 
Fettdepots mehr stattfindet!. 
1 Man erzeugt z. B. eine Fettleber durch Einspritzung von Phloridzin. Wir werden dieser 
Verbindung bei der Besprechung der Kohlenhydrate und ihres Stoffwechsels wieder begegnen. 
   
    
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
	        
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