Full text: Handbuch der Physik (3. Abtheilung, 1. Theil, 1. Band)

4 Grundbegriffe, 
einfach dem mittels der Wage bestimmten Gewichte gleichsetzen, wenn nur die 
Erde an allen Punkten ihrer Oberfläche die in Rede stehende Eigenschaft in 
gleichem Grade besässe, und wenn sämmtliche physikalischen Erscheinungen 
sich auf der Erde und zwar speciell an ihrer Oberfläche abspielten. Beides ist 
nun aber nicht der Fall; in Folge der Abweichung der Erde von der Kugel- 
gestalt ist ihre Anziehung an verschiedenen Stellen ihrer Oberfläche eine ver- 
schiedene; und neben den an dieser stattfindenden Erscheinungen werden doch 
auch solche in der Physik betrachtet, deren Ort das Innere der Erde, die sie 
umgebende Atmosphäre oder gar der Weltenraum ist. Man muss also, um die 
Masse zu erhalten, das Verhältniss des an dem betreffenden Orte bestimmten 
Gewichtes zu der Grösse der an diesem Orte stattfindenden Anziehung bilden; 
in Formel: ; 
Mm = —, 
§ 
wo m die Masse, G das Gewicht und g die Stärke der Anziehung bedeutet.!) 
Die beiden anderen Grundbegriffe, also Raum und Zeit, unterscheiden sich, 
so weit ihre Messung in Betracht kommt, dadurch von einander, dass der erstere 
eine dreifache, die letztere nur eine einfache Mannigfaltigkeit besitzt. Der 
Raum, wenigstens der Raum, welcher die äussere Anschauungsform von uns 
Menschen darstellt, ist dreidimensional, die Zeit ist eindimensional. Neuerdings 
beschäftigen sich Spiritisten einerseits und Mathematiker andererseits vielfach 
mit Räumen von einer anderen Zahl von Dimensionen; die Betrachtungen der 
ersteren gehören überhaupt nicht hierher, die der letzteren nur insofern, als es 
zuweilen mit Hilfe einer fingirten z-dimensionalen Raumanschauung gelingt, ge- 
wisse mathematische Formeln zu behandeln oder leichter zu behandeln, mit 
denen die rein formale Analysis nichts oder nur wenig anzufangen wüsste. Auch 
die Untersuchungen über die Beschaffenheit und die Eigenschaften des drei- 
dimensionalen Raumes (RIEMANN, HELMHOLTZ, ERDMANN u. s. w.) fallen nicht in 
den Rahmen dieses Buches. 
Betrachtet man zunächst eine einzelne Raumdimension, so gelangt man zu 
dem Begriffe der geraden Linie. Das Maass einer solchen ist ihre Länge; der 
Begriff »Länge« oder »Strecke« wird aber alsdann auch auf jede andere, 
krumme Linie ausgedehnt. Aus dem Längenmaasse ergeben sich sodann in 
leicht ersichtlicher Weise das Flächenmaass und das Raummaass; letzteres inso- 
fern von besonderer Wichtigkeit, als es den Rauminhalt oder das Volumen rings- 
um begrenzter Materie auszudrücken gestattet; man bezeichnet eine solche 
durchaus räumlich begrenzte Menge von Materie bekanntlich als einen Körper. 
Die Zeit endlich wird auf Grund der Annahme gemessen, dass der irdische 
Tag, d. h. die Zeit, deren die Erde zu einer Umdrehung um ihre eigene Achse 
bedarf, ein constanter sei; eine Annahme, welche durch die Beobachtung mit 
derartiger Genauigkeit gerechtfertigt wird, dass beispielsweise zur Zeit des grie- 
!) Anmerkung: In wenigen Punkten herrscht in den Lehrbüchern der Physik so viel Ver- 
schiedenheit und zum Theil Verwirrung, wie in der Einführung des Begriffes der Masse. Auch 
die obige Darstellung hat, wie nicht verschwiegen werden darf, einen schwachen Punkt, nämlich 
die vorzeitige Benutzung der Grósse g, welche bekanntlich von der Natur einer Beschleunigung 
ist, also einem erst weiter unfen zu definirenden Begriffe angehürt. Will man exakt zu Werke 
gehen, so muss man sich der von KigcHHorF (Mechanik. Lpz. 1876, pag.21—23.) zuerst 
klar dargestellten Einführungsweise des Massenbegriffes auf Grund der Bewegungsgleichungen 
für ein System sich gegenseitig beeinflussender materieller Punkte anschliessen, was jedoch hier 
zu weit und überdies zur Erschwerung des vorláufigen Verstündnisses führen würde (s. Art. Dynamik). 
       
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
  
  
   
  
  
  
   
   
  
  
  
  
  
  
  
   
   
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