Full text: Handbuch der Physik (3. Abtheilung, 1. Theil, 1. Band)

22 Energie. 
von Energie verschieden. Für die potentielle Energie lässt sich ein allgemeiner 
Ausdruck nicht, oder wenigstens nicht ohne complicirten mathematischen Apparat 
geben; es muss vielmehr die Berechnung der potentiellen Energie in jedem be- 
sondern Falle ausgeführt werden. Wohl ist dies aber für die kinetische Energie 
móglich, und zwar am einfachsten durch Betrachtung einer Arbeitsleistung, welche 
keinen Widerstand findet; das ist z. B. bei der Wirkung der Erde auf einen frei 
fallenden schweren Kórper der Fall. In der Gleichung 
L=mgl 
die wir auf die Zeit einer Sekunde anwenden wollen, können wir einerseits die 
Beschleunigung & durch die Differenz der Endgeschwindigkeit ?' und der Anfangs- 
geschwindigkeit 7 ersetzen; andererseits die Strecke / durch die Geschwindigkeit 
(denn die in einer Sekunde zurückgelegte Strecke ist ja die Geschwindigkeit); nun 
ist die Geschwindigkeit am Anfang v, am Ende v', also im Mittel $(v 4-2); es 
wird also 
L-—im(v-v) (v-4?)-—limv?-limv?. 
Während wir also einerseits wissen, dass die Arbeitsleistung der Erde auf den 
frei fallenden Körper in der Vermehrung seiner kinetischen Energie ihren Aus- 
druck findet, sehen wir hier Z ausgedrückt durch den Werth des halben Produktes 
aus Masse und Geschwindigkeitsquadrat am Ende des Zeitintervalls vermindert 
um den Wert derselben Grösse am Anfange des Zeitintervalls. Diese Grösse 
muss also die kinetische Energie sein. Die kinetische Energie‘ wird also — und 
zwar allgemein — gemessen durch das halbe Produkt aus Masse und Quadrat 
der Geschwindigkeit.!) 
Die Bedeutung des Energiebegriffes lässt sich nur dadurch vollkommen 
würdigen, dass derselbe dem Begriffe der Materie unmittelbar an die Seite ge- 
stellt wird. Jeder Kórper besitzt eine bestimmte Menge Stoffes und eine bestimmte 
Menge von Energie. Der Stoff kann qualitativ sehr verschiedenartig sein, und 
diese Verschiedenheiten des Stoffes finden in der Chemie ihre Untersuchung. 
Von der Energie haben wir bisher nur zwei Arten kennen gelernt, die der Lage 
und die der Bewegung; aber innerhalb jeder dieser beiden Classen sind wiederum 
verschiedene Arten von Energie denkbar. Und wie als oberstes Prinzip der 
Chemie das Prinzip von der Erhaltung des Stoffes (d. h. der Quantität des- 
selben) bei allen qualitativen Verwandlungen desselben gilt, so steht an der 
Spitze der modernen Physik das Prinzip von der Erhaltung der Energie. 
Das wil ebenfalls sagen: Die Quantitit der Energie wird durch keine physi- 
kalische Erscheinung verándert, es handelt sich. vielmehr stets nur um eine 
qualitative Verwandlung. Ein Stein z. B., der in der Hohe losgelassen wird, 
besitzt zunächst potentielle Energie; fällt er herab, so verwandelt sich die- 
selbe mehr und mehr in kinetische Energie, und in dem Augenblicke, wo 
er die Erde trifft und scheinbar auch diese letzte Art von Energie, die noch 
in seinem Besitze war, einbüsst, entwickelt sich in ihm und in der getroffenen 
Erdmasse eine neue Form von Energie, die vielleicht auch Bewegungsenergie, 
aber jedenfalls nicht sichtbare Bewegungsenergie ist: die. Wárme. Und zwar 
Wärme in einem Betrage, welcher &dquivalent ist der verloren gegangenen 
Bewegungsenergie. In analoger Weise liefern die neueren elektrischen Maschinen 
imposante Beispiele der Verwandlung von Bewegungsenergie in elektrische und 
dieser wieder in Lichtenergie. 
1) Diese Grosse ist vielfach »lebendige Krafte genannt worden, insofern jedoch mit 
Unrecht, als es sieh hier gar nicht um Kraft irgend welcher Art handelt. 
        
   
     
     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
  
  
  
  
  
     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
    
    
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