Physikalische Gemische. 619
durch den Druck der oberen Schneeschichten Schmelzung erfolgt. Das Schmelz-
wasser bedingt dann erstens das »Fliessen« der Gletscher und zweitens das
Kompaktwerden der Schneemassen (Verwandlung in »Eis«), indem es zu Stellen
niederen Druckes empordringt und dort wieder fest wird.
Einen historisch interessanten qualitativen Nachweis für die Verflüssigung
des Eises unter genügend hohen Drucken selbst bei Temperaturen von ca. — 20°
hat MoussoN!) erbracht. Er verschloss die Bohrung eines prismatischen Stahl-
stückes auf einer Seite mit einer Schraube, füllte die Bohrung mit ausgekochtem
Wasser und senkte in dieses einen Kupferstift, der auf die als Boden dienende
Verschlusssraube berabsank und während einer kalten Nacht in das untere Ende
des massiven Eiscylinders einfror, zu dem das Wasser erstarrte. Nun wurde das
obere Ende des in einer Kältemischung von etwa — 20° befindlichen Stahl-
cylinders durch eine Ueberwurfschraube verschlossen, durch die ein Stahlstempel
mittelst Schraube in das Innere des Cylinders eingepresst wurde und so einen
Druck von etwa 13000 Atm. nach MoussoN’s Schátzung hervorbrachte.
Das Einpressen des Stahlstempels geschah nun in umgekehrter Lage des
Apparats, so dass bei einer Verflüssigung des Eises der oben eingefrorene Kupfer-
stift auf den Druckstempel herabsinken musste. In der That trat beim Oeffnen
der Druckschraube, wáhrend der Apparat noch umgekehrt in der Káültemischung
sich befand, zuerst der Kupferstift und dann ein Eiscylinder hervor.
Physikalische Gemische.
Im Gegensatz zu den bisher besprochenen einfachen Kórpern, deren Bestand-
theile durch chemische Kráfte verbunden sind, stehen die physikalischen und
die mechanischen Gemische. Jene sind auf physikalischern Wege von ein-
ander trennbar, diese einfach mechanisch ohne Aufwand von Energie. In me-
chanischen Gemischen bestehen danach die Componenten véllig unabhéngig von
einander und jede von ihnen verhilt sich in Betreff ihres Schmelzpunkts genau
wie bei Abwesenheit der anderen. In den physikalischen Gemischen dagegen
findet eine gegenseitige Beeinflussung der Componenten statt, die naturgemäss
eine Function der Mengenverhältnisse ist. Ein einheitlicher Körper ist dann der
Specialfall, dass in einem physikalischen Gemisch eine Componente, in unend-
licher Menge gegenüber den anderen zugegen ist.
In Betreff des Schmelzens und Erstarrens physikalischer Gemische (Lösungen,
Legirungen, Amalgame) ist der theoretisch, wie experimentell völlig durchgearbeitete
Fall der, dass die eine Componente im grossen Ueberschuss vorhanden ist und
sich beim Erstarren allein ausscheidet?); es sind dies die sogen. verdünnten
Lösungen.
Kühlt man eine verdünnte Lösung ab, so beginnt bei einer gewissen Tem-
peratur, der Gefriertemperatur, festes Lösungsmittel sich auszuscheiden, oder, um
dem Phänomen der Unterkühlung Rechnung zu tragen, bei einer bestimmten
Temperatur wird die Lösung mit einem dazu gebrachten Stück Eis (= festes
Lösungsmittel) im Gleichgewicht sein, derart, dass sich dieses weder vergrössert
noch verkleinert. Die Lösung ist bei dieser (Gefrier-) Temperatur mit Eis ge-
1) Mousson, PoGG. Ann., pag. 105. 1858.
?) Dass sich aus LOsungen in der That das reine feste Lösungsmittel allein ausscheidet,
ist experimentell von RÜDORFF durch Analyse des aus wässrigen Salzlósungen ausgefrorenen
Eises, von FRITZsCHE durch die Farblosigkeit des aus gefärbten Lösungen ausfrierenden Eises
nachgewiesen worden, und wird vor allem durch die allgemeine Anwendbarkeit der weiterhin
unter dieser Voraussetzung abgeleiteten Gesetze erhärtet,