104 Eigenschaften der Dielektrika.
X. Doppelbrechung in dielektrischen Substanzen,
Da im Innern eines Dielektrikums Spannungen und Drucke stattfinden, so
müssen sich in ihm auch beim Durchgang des Lichtes Erscheinungen der
Doppelbrechung zeigen. Solche Erscheinungen wurden zuerst von KERR!)
beobachtet. KERR bohrte in eine Spiegelglasplatte Lócher, in die er Dráhte ein-
kittete. Sobald diese Drühte mit den Polen eines Induktoriums verbunden
waren, traten Spannungen in dem Glase auf, und die Platte wurde doppel-
brechend, was in gewóhnlicher Weise durch gekreuzte Nikols beobachtet wurde.
Die Doppelbrechung trat erst etwa 2 Sekunden nach Beginn der Ladung ein und
stieg noch 20—30 Sekunden lang. Durch Vergleich der Doppelbrechung mit der
von gepresstem Glase ergab sich, dass sich die Platte so verhielt, als ob sie in
der Richtung der elektrischen Kraftlinien comprimirt wáre.
Ein Stück Bernstein, ebenso behandelt, verhielt sich umgekehrt. Die Doppel-
brechung war so, wie wenn der Bernstein in der Richtung der Kraftlinien aus-
gedehnt wäre.
Dieselbe Erscheinung beobachtete er auch an Flüssigkeiten?). Am leichtesten
zeigt sich die Erscheinung, indem man einfach in die Flüssigkeit zwei Metall-
stäbe mit abgerundeten Polen einander gegenüberstellt, wie Fig. 25
zeigt. Durch den Zwischenraum zwischen den Kugeln wird ein
polarisirter Lichtstrahl gesendet und durch einen Nikol beobachtet.
Sobald die Kugeln mit einem Induktionsapparat oder mit einer
Elektrisirmaschine verbunden sind, hellt sich das vorher dunkle Ge-
sichtsfeld auf. Der Sinn der Doppelbrechung wird wieder durch einen
Glascompensator ermittelt. Es ergiebt sich, dass die Schwingungs-
richtung der beiden Lichtstrahlen in der Richtung der Kraftlinien
und senkrecht dazu liegt. Bei Schwefelkohlenstoff ergab sich die
Doppelbrechung, wie bei Glas, welches in Richtung der Kraftlinien ge-
dehnt wird. Diese Doppelbrechung nennt KERR positiv, die.entgegen-
gesetzte negativ. Diese Resultate, die früher von GORDON?) und
MACKENZIE4) nicht wieder gefunden wurden, wurden dann von RONTGENS) und
BroNGERSMA®) voll bestätigt. Bei einer ausführlichen quantitativen und qualitativen
Untersuchung einer grossen Reihe von Flüssigkeiten‘) fand Kerr folgende
Resultate:
1) Brom, Phosphor, Schwefel (alle flüssig) sind positiv.
2) Pentan, Hexan, Cinnamol, Caprylen, Kautschukól, Paraffin, Naphtalin sind
positiv.
3) Cetylalkohol, Caprylalkohol, Amylalkohol, Butylalkohol, Propylalkohol,
Aethylalkohol sind negativ und zwar Cetylalkohol am stürksten, Aethylalkohol
am schwächsten. Methylalkohol ist schwach positiv.
4) Wasser ist positiv.
5) Caprylsäure, Caproylsäure, Valeriansäure, Buttersäure, Isobuttersäure, Pro-
pionsäure, Essigsäure, Ameisensäure sind positiv. Dagegen Palmitin- und Stearin-
säure (geschmolzen) negativ.
1) Kerr, Phil. Mag. (4) 50, pag. 337. 1875.
2) KERR, Phil. Mag (4), pag. 85. 1880.
3) GorpoN, Phil. Mag. (5) 2 pag. 203. 1876.
4) MACKENzIE, WIED. Ann. 2, pag. 356. 1877.
5) RONTGEN, WIED. Ann. 10, pag. 77. 1880.
9) BRONGERSMA, WIED. Ann. 16, pag. 222. 1882.
7) Kerr, Phil. Mag. (5) 13, pag. 153. 1882; s. WIEDEMANN's Elektricitüt II, pag. 130.