Erdmagnetismus.
Erdstróme. Bald nachdem sich herausgestellt hatte, dass es zum Tele-
graphiren mittelst elektrischer Stróme eines Rückleitungsdrahtes nicht bedarf,
dass vielmehr die Erde selbst diese Rückleitung übernimmt, wurde die Frage
aufgeworfen, ob nicht auch spontan in der Erde Stróme entstehen, und schon
BARLOW konnte diese Frage im bejahenden Sinne entscheiden, indem er einen
Erdstrom nachwies!) Die erste eingehende Untersuchung über diesen Gegen-
stand stellte LAMoNT?) an, es folgten dann zahlreiche weitere Experimental-
reihen. Wenn trotzdem aus diesen Beobachtungen keine brauchbaren allgemeinen
Resultate zu ziehen sind, liegt das an der Complikation der Erscheinung und
den stórenden Nebeneinflüssen. Namentlich sind. Temperatureinflüsse , die
Contaktdifferenz der Erdplatten, zwischen denen der Strom circulirt, ihre Ver-
bindung mit der Erde, der sogen. Plattenstrom, die Polarisation, die atmosphérische
Elektricitit u. s. w. von wesentlicher Bedeutung. Erst neuerdings hat man es
mehr oder weniger verstanden, geeignete Anordnungen zu treffen, um aus der
am Galvanometer oder dem es ersetzenden Beobachtungsinstrumente gemachten
Ablesung zuverlässige Schlüsse auf die Vorgänge in der Erde ziehen zu können.
In dieser Hinsicht sind namentlich die Untersuchungen von SCHERING®), WeEIN-
STEINT), der deutschen Telegraphendirection °), dem Observatorium in Kew),
endlich von BRANDER) in Finnland und BATTELLI®) in Italien zu nennen. Dass
fast ununterbrochen Erdstróme existiren, ist hiernach zweifellos; sie halten sich
aber meist in missigen Intensitätsgrenzen. Von regelmässigen Perioden, in
Bezug auf welche die Beobachter sich aber zum Theil widersprechen, sei die
halbjährige (nach TromHoLT, Maxima und Minima zur Zeit der Gleichen und
Sonnenwenden, also wie beim Nordlicht) und die tägliche (Nachts stärker als
Tags, nach 'TRoMHoLT u. A. jedoch das Maximum zwischen 8 und 9 Uhr
Morgens) erwähnt. Zuweilen treten ungewöhnlich starke Erdstróme auf, in der
Woche vom 28. August bis 4. September 1859 waren sie z. B. so stark, dass in
Deutschland 100 Elemente nicht zur Compensation ausreichten. Zu solchen Zeiten
finden dann faststets auch magnetische Stórungen statt, und von besonderem Interesse
ist dabei die namentlich von BarTELLI constatirte Thatsache, dass die Erdstróme
resp. ihre Variationen den Störungen fast stets, wenn auch meist nur um einige
Minuten, vorangehen. Es ist hieraus mit einiger Wahrscheinlichkeit zu schliessen,
dass die Erdstróme, ähnlich wie die Polarlichter, und vermuthlich in noch
hóherem Maasse als diese, bei der Hervorrufung der magnetischen Stórungen
betheiligt sind. Die vorwiegende Richtung der Erdstróme ist in verschiedenen
Gegenden eine sehr verschiedene, bald nähert sie sich mehr dem Meridian,
bald mehr dem Parallelkreis, ein Verhalten, welches dem der magnetischen
Kraftlinien ebenfalls entsprechend ist.
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf die Gesammtheit des Problems,
so können wir uns etwa folgende, freilich in vielen Punkten zweifelhafte oder
willkürliche Vorstellung machen: Die Erde erhält, falls sie nicht etwa schon
von vornherein freie Elektricität besitzt, solche von der Sonne, vielleicht durch
!) Die ältere Literatur sehe man bei GÜNTHER, Lehrb. d. Geophysik II, pag. 9.
?) LAMONT, Der Erdstrom u. s. w. Lpz. 1862.
3) SCHERING, Beob. an Erdströmen. Göttingen 1884.
^) WEINSTEIN, El. Zeitschr. 1884 u. folg. (an vielen Stellen).
5) Berl. Sitz.-Ber. 1886, pag. 787.
6) Die Erdstrôme werden dort schon seit längerer Zeit photographisch registrirt.
”) BRANDER, Ac. Abh. Helsingfors 1888.
8) BATTELLI, Ann. Uff. Centr. di Meteor. (4) 9, pag. 1. 1880.