Reciproke Erscheinungen: Deformation im elektrischen Felde. 547
auf eine Verschiebung dieser Atome innerhalb des Moleküls, sondern auf die
gegenseitige Lagenánderung der Molekiüle zurückgeführt wird, haben J. und
P. Cumrg!) schon 1881 angewandt, um die elektrische Erregung des Turmalins
durch Contraction parallel der Hauptaxe zu erklären. Sie denken sich einen
Turmalinkrystall analog einer Sáule aus Paaren zusammengelótheter Kupfer- und
Zinkplatten, welche durch isolirende elastische Zwischenlagen von einander getrennt
sind; bei einer Compression einer solchen Sáule ändert sich die Capacität der von
je zwei einander gegenüberstehenden Metallplatten gebildeten Condensatoren, und
in Folge davon werden auf den beiden Endplatten entgegengesetzt gleiche Elektrici-
“© tátsmengen frei. Lord KxiviN?) hat später ein solches Modell eines piëzoelektrischen
3 Krystalls mit einer polaren Axe wirklich ausgefiihrt, ohne die Andeutung von J. und
P. Curie zu kennen, und hat gezeigt?) wie man auf Grund desselben Princips
ein Modell eines ganz beliebigen piézoelektrischen Krystalls construiren kónnte.
Die Moleküle eines solchen stellt er sich dabei vor als starre Kórper von be-
liebiger Gestalt, deren Oberfláche aus Stücken verschiedener metallischer Leiter
zusammengesetzt ist, welche sich durch Contacteiektricitát stets auf con-
stante Potentialdifferenzen laden; die Moleküle sollen nach Raumgittern an-
geordnet und gleichsam durch nichtleitende elastische Federn mit einander ver-
Sp bunden sein. Lord KzrviN hebt hervor, dass dieser Anschauung zufolge
: | Temperaturänderungen auch dann, wenn die sie von Natur begleitenden De-
formationen durch mechanische Einwirkung verhindert werden, elektrische
Momente erregen können, so dass sich die schon pag. 534 erwähnte, durch drei
der Temperaturänderung proportionale Glieder erweiterte Form des allgemeinen
VoicT'schen Ansatzes I ergeben würde. Diese Ergänzungsglieder können natür-
tück- lich nur bei denjenigen, früher angeführten Krystallgruppen auftreten, bei denen
gen eine elektrische Erregung durch gleichförmige Erwärmung möglich ist.
III. Deformation piézoelektrischer Krystalle im elektrischen Felde.
Mittelst der Principien der Thermodynamik lässt sich zeigen, dass ein durch
elastische Deformation elektrisch polarisirbarer Krystall umgekehrt, wenn er
durch äussere elektrische Kräfte polarisirt wird, elastische Deformationen erleiden
muss, und zwar lassen sich diese Deformationen quantitativ voraus bestimmen, wenn
die piézoelektrischen Constanten bekannt sind. Diese reciproken Beziehungen
sind zuerst von LiPPMANN?) für einen speciellen Fall, sodann allgemein von
PockELs5) aufgestellt worden. Am einfachsten gestaltet sich ihre Ableitung mit
Hilfe des Ausdruckes für die freie Energie der Volumeinheit eines Krystalls,
welcher sich im Zustande homogener dielektrischer Polarisation und homogener
elastischer Deformation befindet®). Bezeichnet man das gewöhnliche elastische
Potential 15,,.X,? 2- 1555 Y,?-- . . . -- 5,9, X4 X, mit /, die elektrischen Kräfte
mit 4, B, C, die Constanten der dielektrischen Polarisation fiir die elektrischen
Symmetrieaxen, welche als Coordinatenaxen gewáhlt werden sollen, mit x,, X», Xs,
ferner die Temperatur, bezogen auf eine Normaltemperatur 9 als Nullpunkt,
1) J. und P. Curie, Compt. rend. 62, pag. 351. 188r.
2) Lord Kervin, Phil. Mag. (5) XXXVI, pag. 342 und 384.
3) Lord Keuvin, Phil. Mag. (5) XXXVL pag. 453; Compt. rend. 117, pag. 463. 1893.
4) L1pPMANN, Ann. de chim. et de phys. (5) XXIV, pag. 164. 1881 ; Journ. de phys. (1X, pag. 391.
5) PockELs, N. Jahrb. f. Miner. Beil.-Bd. VII, pag. 224. 1890.
6) DUHEM, Leçons sur l’Électricité et le Magnétisme IL, pag. 467. Ann. de l'Ecole Normale
Supérieure (3) IX, pag. 167. 1892 (vergl. dazu eine Berichtigung von PocKELs, N. Jahrb. f.
Miner. Beil. Bd. VIII, pag. 407. 1892) — Ferner E. RiECKE, Nachr. Ges. d. Wiss.,
Göttingen 1893, pag. 3—13, dessen Darstellung wir uns hier anschliessen.
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