Full text: Handwörterbuch der Astronomie (3. Abtheilung, 2. Theil, 1. Band)

   
  
  
  
  
  
  
  
ARISTARCH, ERATOSTHENES, HIPPARCH. 19 
bisher erlangten weit in den Schatten stellten. Ein gleich guter Beobachter und 
scharfsinniger Denker hatte HiPPARCH von Nicáa!), dieser grósste Astronom des 
Alterthums, dessen 'Thátigkeit zwischen r6o—r:25 v. Chr. fállt, in der theore- 
tischen und praktischen Astronomie Wege eingeschlagen, welche Jahrhunderte 
hindurch nicht nur als Norm für die weitere Forschung dienten, sondern durch 
anderthalb Jahrtausende unverändert beibehalten wurden. An seinen Namen 
knüpfen sich die Untersuchungen über die Ortsveränderungen der Fixsterne am 
Himmel, die Theorie der »Praecession der Nachtgleichen« oder die Theorie der 
»Bewegung der achten Sphäre«, wie sie von späteren Schriftstellern des Mittel- 
alters genannt wird (/eoria motus octavae sphaerae), und die vollkommene Umge- 
staltung der Theorie der Bewegung der Wandelsterne, die »Theorie der epi- 
cyklischen Bewegung«. (Ueber die von HiPPARCH eingeschlagenen Beobachtungs- 
methoden, s. die verschiedenen älteren, von ihm benutzten Instrumente). 
Schon ARISTYLL: und TIMOCHARIS hatten um 3oo v. Chr. an geeigneten 
Instrumenten die Oerter einzelner Sterne am Himmel bestimmt. Als nun HipPARCH, 
veranlasst durch das Aufleuchten eines neuen Sterns im Sternbilde des Scorpions 
einen Sternkatalog, d. i. ein Verzeichniss von Sternen mit Angabe ihrer sphüri- 
schen Coordinaten (Lánge und Breite, oder wie dies jetzt allgemein geschieht 
Rectascension und Deklination), anlegte, fand er durch Vergleichung mit den 
Angaben der erstgenannten beiden Astronomen, dass die Längen der sämmt- 
lichen Gestirne um nahe denselben Betrag grösser geworden waren, während 
die Breiten derselben ungeändert blieben. Die Gleichmässigkeit des Auftretens 
dieses Wachsens der Längen bei allen Gestirnen führte ihn auf die Annahme, dass 
die beiden Nachtgleichenpunkte längs der Ekliptik zurückweichen, dass also der 
Aequator in einer drehenden Bewegung begriffen sein müsse. HIPPARCH nahm 
an, dass diese Drehung derart vor sich gehe, dass die Schnittpunkte in je rund 
100 Jahren um 1° zurückwichen, wodurch die Längen aller Gestirne jährlich 
um 36" grösser würden, wobei ihre Breiten unverändert blieben, während sich 
dabei natürlich sowohl die Rectascension als auch die Deklination änderten. 
Da nun in Folge dieser »Präcession derNachtgleichen« (eigentlich ein 
Rückschreiten derselben) der Frühlingspunkt in immer andere Sternbilder kommt, 
mit dem Eintreten der Sonne in den Frühlingspunkt aber der Beginn des astro- 
nomischen Frühlings verbunden ist, so wird zur Zeit des Beginnes der astro- 
nomischen Jahreszeiten die Sonne im Laufe der Jahrhunderte in immer andere 
Sternbilder eintreten. Zu den Zeiten HırPARcH’s war der Frühlingspunkt un- 
gefähr im Beginn des Sternbildes des Widders, der Frühling begann mit dem 
Eintritt der Sonne in das Sternbild des Widders, der Sommer mit dem Eintritt 
der Sonne in das Sternbild des Krebses, der Herbst, bezw. der Winter mit dem 
Eintritt der Sonne in die Sternbilder der Waage und des Steinbocks. Zu unseren 
Zeiten (etwa 2000 Jahre nach HiPPARCH) ist der Frühlingspunkt bereits um nahe 
30^ zurückgewichen, er befindet sich im Anfange des Sternbildes der Fische; 
der Frühlingsanfang fállt mit dem Eintritte der Sonne in das Sternbild der 
Fische, der Sommer- bezw. Herbst. und Winteranfang mit dem Eintritt der 
Sonne in die Sternbilder der Zwillinge, der Jungfrau und des Schützen zusammen. 
In den Kalendern und selbst noch in der astronomischen Geographie findet 
man auch noch heute die für astronomische Zwecke völlig unnöthige Eintheilung 
des Thierkreises in 12 Zeichen, deren Namen mit denjenigen der 12 Stern- 
bilder identisch sind, die aber so angeordnet sind, dass jedes genau 30° der Ekliptik 
') Er lebte zumeist auf Rhodus, vorübergehend auch in Alexandrien. 
     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
  
  
   
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
   
   
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
	        
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