Full text: Handwörterbuch der Astronomie (3. Abtheilung, 2. Theil, 4. Band)

Zeit, Zeitbestimmung. 131 
RN Die Verschiedenheit von Sterntag und Sonnentag rührt davon her, dass 
sich die Sonne in Folge der Revolution der Erde um dieselbe, zwischen den 
Gestirnen fortzubewegen scheint; da diese Bewegung von West nach Ost vor 
sich geht, während die tägliche Drehung des Fixsternhimmels in der entgegen- 
gesetzten Richtung, von Ost nach West stattfindet, so wird die Sonne nach einer 
vollen Umdrehung der Erde um ihre Axe, zwischen den Sternen etwas weiter 
gerückt sein und erst einige Zeit später culminiren, als derjenige Punkt (Stern). 
bei welchem sie während ihrer vorhergehenden gleichartigen Culmination stand: 
der Sonnentag ist etwas länger als der Sterntag. 
Da die Sonne nach einem Jahre wieder zu demselben Punkte zurückkehrt, 
so wird sie jeden Tag um den 36525ten Theil des ganzen Umkreises, also 
nahe 1°, d. i. 4% täglich, später culminiren, was dadurch in die Erscheinung 
tritt, dass scheinbar die Fixsterne um diesen Betrag täglich früher culminiren. 
Man nennt diese Erscheinung die Acceleration der Fixsterne. 
Der Betrag von 4” ist nur eine Näherung. Zu einem genauen Werthe ge- 
langt man auf folgende Weise: Die Sonne gelangt nach 365:256358 Sonnen- 
tagen wieder in dieselbe Position zu den Fixsternen (siderisches Jahr), wáhrend 
welcher Zeit aber die Erde genau um eine Rotation mehr um ihre Axe, d. h. 
366:256358 Rotationen gemacht hat. Eigentlich wáre daher das Verhàáltniss 
Linge des Sonnentags: Linge des Sterntags — 366:256358: 302256358. 
Im Grunde wäre es gleichgültig, welchen Stern man hierbei als Zeitmesser 
gebraucht; für den Anfang des Sterntags müsste aber ein ganz bestimmter Stern 
gewählt werden, so dass der Sterntag stets und überall mit der Culmination 
dieses Sternes beginnen würde. Unter allen Punkten an der Himmelskugel ist | 
nun ein besonderer, der in vielen Hinsichten eine bevorzugte Stellung einnimmt, 
nämlich der Frühlingspunkt, und es lag daher nahe, diesen als Anfangspunkt 
der Zählung zu wählen, so dass der Sterntag mit der Culmination des 
Frühlingspunktes beginnt. Dass hierdurch der Einfluss der Eigenbewegung 
der Fixsterne auf die Tageszählung wegfällt, kann kaum als Vortheil betrachtet 
werden, da sich selbst in historischen Zeiträumen in dieser Richtung keine Ab- 
weichungen ergeben würden. Hingegen hat diese Zählung mancherlei Nach- 
theile, welche von dem Einfluss der Nutation herrühren, worüber später noch 
Einiges gesagt wird. 
Zählt man nun aber den Sterntag von der Culmination des Frühlingspunktes, 
so dass 0% Sternzeit zur Zeit der Culmination, 1%, 97, 3^ . . . Sternzeit ist, wenn 
der Stundenwinkel des Frühlingspunktes 17, 2^, 3^ . . . betrágt, so ist der Ein- 
fluss der Präcession nicht zu übersehen. Das Zusammenfallen der Culmination 
dez Sonne mit der Culmination des Frühlingspunktes findet (allerdings all 
jährlich nur für einen bestimmten Ort der Erde, s. den Artikel »Ort«) in 
Zwischenzeiten statt, welche gleich sind dem tropischen Jahr; daher sind 
365242201 Sonnentage = 366:242201 Sterntage (1) 
Die Bewegung der Sonne zwischen den Sternen ist aber nicht gleichmässig; 
sie ist schneller im Winter, langsamer im Sommer; sie findet ausserdem in der 
Ekliptik und nicht im Aequator statt, und eine selbst gleichförmige Bewegung 
in der Ekliptik würde sich nicht als gleichmässig auf den Aequator projiciren; 
die Intervalle zwischen zwei aufeinander folgenden gleichartigen Culminationen 
von einander gleichen Intervallen in der Ekliptik werden demnach nicht gleich 
lang sein, und umso länger, je grösser die Deklination des betrachteten Punktes 
ist. Um auf ein gleichförmiges Maass zu kommen, muss daher an.die Stelle 
der ungleichförmigen Bewegung der Sonne eine gleichförmige substituirt werden, 
  
  
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