Full text: Vom Wesen der Willensfreiheit

  
  
   
  
  
wechselseitige Spiel der sich "ach allen Richtungen 
durchkreuzenden — Willensmotive  unvergleichlich viel 
feiner und verwickelter als das von Naturkräften, und 
es ist ungeheuer viel verlangt von der Intelligenz des 
Beobachters, wenn er imstande sein soll, alle einzelnen 
Motive nach ihrer kausalen Bedingtheit zu erkennen 
und in ihrer Bedeutung richtig zu würdigen. Ja, wir 
müssen zugeben, daf sich unter den tatsáchlich leben- 
den Menschen sicherlich kein solch feiner Beobachter 
finden lassen wird. Aber wir haben ja schon ausdrück- 
lich festgestellt, daß wir an diese Schwierigkeit hier 
nicht rühren wollen, da es vollkommen genügt, uns 
daran zu halten, daß von logischer Seite die Voraus- 
seizung eines mit beliebig hohem Scharfsinn begabten 
Beobachters keinerlei Bedenken unterliegen kann. 
In der Tat bildet, wie wohl zu beachten ist, diese 
Voraussetzung die Grundlage und den Ausgangspunkt 
einer jeden wissenschaftlichen Untersuchung, sowohl in 
der Geschichtswissenschaft als auch in der Psychologie; 
denn ebenso wie der Historiker jedes geschichtliche Er- 
eignis, jede Willenshandlung einer historischen Persön- 
lichkeit als gesetzlich bedingt durch deren Eigenart und 
durch vorliegende Umstände zu deuten sucht und die 
zurückbleibenden Lücken niemals einem Durchbrechen 
der Kausalität, d. h. dem Zufall, sondern stets einer 
mangelnden Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse 
zuschreibt, so stellt sich auch der Psychologe bei allen 
seinen Versuchen und Beobachtungen nach Möglichkeit 
auf den Standpunkt des alles durchschauenden Be- 
obachters, der aber absolut passiv bleiben muB. Denn 
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