116 Kausalgesetz und Willensfreiheit
Die schwierige Frage nach der Wechselwirkung zwischen
physischen und psychischen Erscheinungen können wir dabei
ganz aus dem Spiel lassen. Es genügt die Anerkennung des
Satzes, daß jeder psychische Vorgang mit einem entsprechen-
den physischen Vorgang nach bestimmten Gesetzen zusam-
menhängt.
Da jede Handlung nicht nur durch vorangehende Motive
kausal bedingt ist, sondern auch ursächlich auf das spätere
Handeln einwirkt, so bildet sich aus dem Wechselspiel von
Motiven und Handlungen eine endlose Kette von aufeinander-
folgenden Geschehnissen im geistigen Leben, in der jedes
Glied sowohl mit den vorhergehenden als auch mit den folgen-
den durch strenge Kausalität verbunden ist.
Es hat zwar nicht an Versuchen gefehlt, den Zusammen-
hang dieser Glieder zu lockern. So hat noch Hermann
Lotze in bewußtem Gegensatz zu Kant mit Nachdruck
die Auffassung vertreten, daß eine solche kausale Kette zwar
kein Ende wohl aber einen Anfang haben könne, mit anderen
Worten, daß es, besonders in den Köpfen schöpferisch ver-
anlagter Geister, unter Umständen zum Auftreten von
Motiven komme, die völlig selbständig, ohne durch voran-
gehende Ursachen bedingt zu sein, zur Wirksamkeit gelangen
und so das Anfangsglied einer neuen kausalen Kette dar-
stellen.
Wenn sich in Wirklichkeit so etwas ereignen könnte, müßte
es doch der unablässig daran arbeitenden wissenschaftlichen
Forschung endlich einmal in irgendeinem Falle gelungen sein,
dies wenigstens als glaubhaft hinzustellen. Aber es hat sich
bisher nirgends ein Anhaltspunkt für das Vorhandensein
solcher sogenannter „freier Anfange* auffinden lassen. Im
Gegenteil: je tiefer die Wissenschaft in die Einzelheiten der
Entstehung auch der großen weltgeschichtlichen Geistes-
bewegungen einzudringen vermochte, desto deutlicher ist
immer die kausale Bedingtheit, die Abhängigkeit von voran-
gehenden und vorbereitenden Faktoren ans Licht getreten,
ja man wird schon heute geradezu sagen dürfen, daß um-
gekehrt die wissenschaftliche Forschung in einer kausalen
Betrachtungsweise wurzelt, daß die Annahme einer ausnahms-
losen Kausalität, eines vollkommenen Determinismus, die