60 Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit
Jahrhundertfeier als Zeichen ihrer Anerkennung dafür mit
dem Doktorhut geschmückt hat.
Es bleibt sonach für den Physiker, der nun einmal an die
induktive Beweisführung gebunden ist, kein Zweifel: Die
Materie ist atomistisch konstituiert, die Wärme ist Bewegung
der Moleküle, und die Wärmeleitung, wie alle übrigen irrever-
siblen Vorgänge, gehorcht nicht dynamischen, sondern sta-
tistischen, das heißt Wahrscheinlichkeitsgesetzen. Freilich
ist es schwer, sich auch nur eine annähernde Vorstellung zu
machen von dem winzigen Grad der Wahrscheinlichkeit, die
dafür besteht, daß einmal für einen Augenblick die Wärme
in umgekehrter Richtung, vom kalten Wasser zum heißen
Eisen, übergeht. Wenn jemand in einen mit zahlreichen
verschiedenen Buchstaben angefüllten Sack blindlings hinein-
greift, einen Buchstaben nach dem anderen hervorzieht und
die Buchstaben in der Reihenfolge, wie sie gezogen sind,
nebeneinanderlegt, so wird man immerhin die Möglichkeit
zugeben müssen, daß dabei vernünftige Worte herauskommen
können, vielleicht sogar ein Gedicht von Goethe. Oder wenn
jemand mit einem gewöhnlichen Würfel hundert Würfe
hintereinander macht, so wird niemand die Möglichkeit be-
streiten können, daß bei allen Würfen ohne Ausnahme jedes-
mal sechs geworfen wird, da doch das Ergebnis jedes Wurfes
unabhängig ist von dem der vorherigen Würfe. Aber wenn
in Wirklichkeit einmal so etwas passieren sollte, so würde
jedermann doch ohne weiteres sagen: es geht nicht mit rechten
Dingen zu, der Würfel ist vielleicht nicht vollkommen sym-
metrisch, und kein Verständiger würde sich dem Gewicht
dieser Behauptung entziehen. Denn die Wahrscheinlichkeit,
daß unter normalen Umständen ein derartiger Ausnahmefall
eintritt, ist doch gar zu gering. Und dennoch ist sie immer
noch ganz ungeheuer groß gegenüber der Wahrscheinlichkeit,
daß einmal Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren
Körper übergeht. Man bedenke nur, daß es sich bei dem
Würfel nur um sechs Zahlen, also um sechs verschiedene
Fälle, bei den Buchstaben um 25, bei den Molekülen dagegen
um viele Millionen in den kleinsten noch sichtbaren Raum-
teilen handelt, die mit den verschiedensten Geschwindigkeiten
behaftet sind. Also vom Standpunkt der praktischen Physik
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