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Me nÀ MÀ
Religion und Naturwissenschaft 91
Bunde stehende Faust das Wort hat. Ich bin sicher, daf$ der erlóste
Faust, wie wir ihn vom Ende des zweiten Teiles her kennen, auf
Gretchens Frage eine etwas andere Antwort erteilen würde. Aber
ich will mich nicht vermessen, mit besonderen Mutmaßungen in Ge-
heimnisse einzudringen, die sich der Dichter für immer vorbehalten
hat. Ich möchte vielmehr versuchen, vom Standpunkt eines im Geiste
der exakten Naturforschung aufgewachsenen Gelehrten die Frage zu
beleuchten, ob und inwiefern eine wahrhaft religiöse Gesinnung mit
den uns von der Naturwissenschaft übermittelten Erkenntnissen ver-
träglich ist, oder kürzer gesagt: ob ein naturwissenschaftlich Gebil-
deter zugleich auch echt religiós sein kann.
Zu diesem Zwecke wollen wir zunüchst zwei spezielle Fragen ganz
getrennt behandeln. Die erste Frage lautet: Welche Forderungen
stellt die Religion an den Glauben ihrer Bekenner und welches sind
die Merkmale echter Religiositát? Die zweite Frage ist: Welcher
Art sind die Gesetze, die uns die Naturwissenschaft lehrt, und welche
Wahrheiten gelten ihr als unantastbar?
Durch die Beantwortung dieser beiden Fragen wird uns die Môg-
lichkeit gegeben werden, zu entscheiden, ob und inwieweit die For-
derungen der Religion mit den Forderungen der Naturwissenschaft
vereinbar sind, und ob daher Religion und Naturwissenschaft neben-
einander bestehen kónnen, ohne sich zu widerstreiten.
II.
Religion ist die Bindung des Menschen an Gott. Sie beruht auf der
ehrfurchtsvollen Scheu vor einer überirdischen Macht, der das
Menschenleben unterworfen ist und die unser Wohl und Wehe in
ihrer Gewalt hat. Mit dieser Macht sich in Übereinstimmung zu
setzen und sie sieh wohlgesinnt zu erhalten ist das bestándige Stre-
ben und das höchste Ziel des religiösen Menschen. Denn nur so
kann er sich vor den ihm im Leben bedrohenden Gefahren, den vor-
hergesehenen und den unvorhergesehenen, geborgen fühlen, und wird
des reinsten Glückes teilhaftig, des inneren Seelenfriedens, der nur
verbürgt werden kann durch das feste Bündnis mit Gott und durch
das unbedingte gläubige Vertrauen auf seine Allmacht und seine
Hilfsbereitschaft. Insofern wurzelt die Religion im Bewußtsein des
einzelnen Menschen.
Aber ihre Bedeutung geht über den Einzelnen hinaus. Nicht etwa
hat jeder Mensch seine eigene Religion, vielmehr beansprucht die
Religion Gültigkeit und Bedeutung für eine größere Gemeinschaft,
für ein Volk, für eine Rasse, ja in letzter Linie für die gesamte
Menschheit. Denn Gott regiert gleicherweise in allen Ländern der
Erde, ihm ist die ganze Welt mit ihren Schätzen wie auch mit ihren
Schrecknissen untertan, und es gibt im Reich der Natur wie im