Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

       
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
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Religion und Naturwissenschaft 
Wort an sich auch ein charakteristisches Interesse, aber genauer 
gesehen ist ein Wort doch nur eine Buchstabenfolge, seine Bedeu- 
tung liegt wesentlich in dem Begriff, den es ausdrückt. Und für 
diesen Begriff ist es im Grunde nebensächlich, ob er durch dieses 
oder. durch jenes Wort, in dieser oder jener Mundart dargestellt 
wird. Wenn das Wort in eine andere Sprache übersetzt wird, bleibt 
der Begriff bestehen. 
Oder ein anderes Beispiel. Das Symbol für das Ansehen und die 
Ehre eines ruhmreichen Regiments ist seine Fahne. Je älter sie ist, 
desto höher gilt ihr Wert. Und ihr Träger rechnet es sich in der 
Schlacht zur höchsten Pflicht, sie um keinen Preis im Stich zu lassen, 
sie im Notfall mit seinem Leibe zu decken, ja, wenn es gilt, für sie 
sein Leben hinzugeben. Und doch ist eine Fahne nur ein Symbol, ein 
Stück buntes Tuch. Der Feind kann es rauben, kann es besudeln oder 
zerreißen. Aber damit hat er das Höhere, was durch die Fahne sym- 
bolisiert wird, keineswegs vernichtet. Das Regiment wahrt seine 
Ehre, es schafft sich eine neue Fahne und wird vielleicht für die an- 
getane Schmach gebührende Vergeltung üben. 
. Ebenso nun wie in einem Heere oder überhaupt in jeder vor grofe 
Aufgaben gestellten Gemeinschaft sind auch in der Religion Symbole 
und ein den Symbolen angepaßter kirchlicher Ritus völlig unent- 
behrlich, sie bedeuten das Höchste und Verehrungswürdigste, was 
himmelwärts gerichtete Einbildungskraft geschaffen hat, nur darf 
niemals vergessen werden, daß auch das heiligste Symbol mensch- 
lichen Ursprungs ist. 
Hätte man ‚diese Wahrheit zu allen Zeiten beherzigt, so wäre der 
Menschheit unendlich viel Jammer und Herzeleid erspart geblieben. 
Denn die furchtbaren Religionskriege, die grausamen Ketzerverfol- 
gungen mit allen ihren traurigen Begleiterscheinungen sind doch in 
letztem Grunde nur darauf zurückzuführen, daß gewisse Gegensätze 
aufeinanderprallten, denen beiden eine gewisse Berechtigung inne- 
wohnt, und die lediglich dadurch entstanden sind, daß eine gemein- 
same unsichtbare Idee, wie der Glaube an einen allmächtigen Gott, 
verwechselt wurde mit ihren nicht übereinstimmenden sichtbaren 
Ausdrucksmitteln, wie das kirchliche Bekenntnis. Es gibt wohl nichts 
Betrüblicheres als wenn man sieht, wie von zwei sich bitter befehden- 
den Gegnern ein jeder in voller Überzeugung und in ehrlicher Begei- 
sterung von der Gerechtigkeit seiner Sache seine besten Kräfte bis 
zur Selbstaufopferung dem Kampf zu widmen sich verpflichtet fühlt. 
Was hätte alles geschaffen werden können, wenn auf dem Gebiet 
religiöser Betätigung solche wertvollen Kräfte sich vereinigt hätten, 
anstatt sich gegenseitig nach Möglichkeit aufzureiben. 
Der tiefreligiöse Mensch, der seinen Glauben an Gott durch die 
Verehrung der ihm vertrauten heiligen Symbole betätigt, klebt gleich- 
  
  
	        
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